: Ein Erfolg ist nicht ausgeschlossen
Welche Probleme in Camp David verhandelt werden und wie Lösungsmöglichkeiten aussehen könnten
JERUSALEM taz ■ Eine beidseitige Erklärung über eine dauerhafte Friedenslösung: das möchte der israelische Premierminister Ehud Barak von seinen Unterhandlungen mit dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat in Camp David zurückbringen. Ein Rahmenplan über noch anstehende Regelungen und die Einigung über den künftigen Grenzverlauf würde schon ausreichen, um den Gipfel aus israelischer Sicht als gelungen zu betrachten. Die Israelis geben sich vorsichtig optimistisch. Die Palästinenser fürchten indes, dass der Gipfel „zum Scheitern verurteilt“ ist, so Parlamentspräsident Abu Ala. Sie fühlen sich überrumpelt von den Amerikanern, die sie zur Teilnahme an dem Gipfel zwingen.
Trotzdem hat US-Präsident Bill Clinton vermutlich Recht, wenn er die Zeit für Entscheidungen für gekommen hält. Von beiden Delegationen war wiederholt zu hören, dass die Positionen klar und ausdiskutiert seien. Aus Andeutungen beider Seiten entsteht ein Bild, das nicht unbedingt pessimistisch stimmen muss. Der eigentliche Konflikt, so scheint es, dreht sich weniger darum, ob hier ein Prozent mehr Land israelisch bleibt, dort ein Prozent weniger in die Autonomie entlassen wird, sondern um nationales Ehrgefühl, um die Sorge, sich zu billig herzugeben und natürlich darum, wie der Vertrag, sollte er zustande kommen, dem eigenen Volk verkauft werden kann. So wie für Barak die offizielle Erklärung über „das Ende des Konflikts“ wichtig ist, so ist von ganz entscheidender Bedeutung für die Palästinenser das Aufstellen ihrer Flagge auf dem Jerusalemer Tempelberg. Solche Positionen von hoher Symbolkraft könnten zum Stolperstein werden, wenn beiden Seiten in der Endrunde der Verhandlungen das Letzte an Kompromissfähigkeit abverlangt wird.
Was pessimistisch stimmen kann, sind die sehr deutlichen „roten Linien“ Arafats und Baraks. Baraks Verhandlungsmantra sind seine berühmten „vier Neins“: Keine Rückkehr zu den Grenzen von 1967, keine Kompromisse zum Status Jerusalems, keine fremde Armee westlich vom Jordan und keine Auflösung der meisten jüdischen Siedlungen. Demgegenüber steht Arafats Vorstellung von 100 Prozent Landrückgabe, was sowohl die Rückkehr zu den alten Grenzen als auch die Auflösung sämtlicher Siedlungen notwendig machen würde.
Die jüngst vom israelischen Premier wiederholte Formel: „Wir werden 80 Prozent der Siedler in Blöcken unter jüdischer Souveränität behalten“, zeigt indes eine mögliche Verhandlungsbasis. Arafat hatte sich, Berichten zufolge, bereits auf vier Prozent weniger als 100 eingelassen. Für die fraglichen Siedlungsblöcke bräuchte Barak 5,5 Prozent. An dieser geringen Diskrepanz wird der Frieden kaum scheitern. Allerdings verlangen die Palästinenser stattdessen anderes Land. Denkbar wäre eine Erweiterung des Gaza-Streifens. Das wiederum ist für Barak schwierig, denn die Aufgabe israelischen Kernlandes macht laut Gesetz eine vorherige Volksabstimmung zwingend. Die Amerikaner scheinen eine Lösung parat zu haben: Möglich wäre anstelle eines Landaustausches die Verpachtung des fraglichen Gebietes für 50 oder 100 Jahre.
Der Konfliktpunkt Flüchtlinge gehört zwar nicht zu Baraks vier berühmten Neins, dennoch lehnt der israelische Premier jede Verantwortung Israels, „ob juristisch oder historisch“, für das Flüchtlingsproblem ab. Die Palästinenser brachten am Wochenende zum ersten Mal die Summe von 40 Milliarden Doller als Wiedergutmachungsforderung ins Spiel. Darüber hinaus würden sie gern hören, dass den Flüchtlingen grundsätzlich das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat zusteht. Allein aus demografischen Überlegungen könnte das das Ende des Judenstaates bedeuten und ist deshalb ausgeschlossen. Dennoch sind unter dem humanitären Motto der Familienzusammenführung Kompromisse denkbar. Israelischen Zeitungsberichten zufolge wird die Aufnahme von rund 60.000 Flüchtlingen innerhalb der kommenden 10 bis 15 Jahre im israelischen Kernland diskutiert. Israel würde sich allerdings die Kontrolle jedes Einzelfalles vorbehalten. Die konkrete Zahl wird vermutlich weit niedriger ausfallen, was zu neuen Konflikten führen kann. Doch zumindest im Moment wäre das Problem gelöst.
Der Streit um Jerusalem, die „heilige Stadt“, so der arabische Name „Al Quds“, birgt das gesamte Verhandlungspaket in komprimierter Form. „Warum sollen wir nur auf einen Zentimeter unseres Landes verzichten, wenn wir schon über die Hälfte abgegeben haben“, ist die palästinensische Formel, und sie passt im Wortlaut auf die gesamten besetzten Gebiete wie auch auf Jerusalem. Umgekehrt beharrt Barak auf „der ewig ungeteilten jüdischen Hauptstadt“. Sollte er doch Kompromisse machen, wird er vor großen Problemen beim Referendum über eine Verhandlungslösung stehen. Jerusalem ist bei den bisherigen Gesprächen offenbar noch überhaupt nicht thematisiert worden.
Barak und Arafat fahren mit großem Erfolgsdruck nach Camp David. Barak ist nur noch Chef einer Minderheitsregierung, und auch die Sympathie für Arafat sinkt dramatisch, wenn man jüngsten Umfragen glauben kann. Die beiden Verhandlungspartner können sich deshalb kaum ein Misslingen des Gipfels erlauben, doch ebensowenig zu große Eingeständnisse.
Von außen betrachtet mag es unverständlich sein, wie die historische Chance verpasst werden kann, einen 100-jährigen Konflikt zu Ende zu bringen, nur weil vielleicht keine Lösung für einige Wohnviertel in Jerusalem gefunden werden konnte. Doch jeder Kompromiss muss nicht nur von den Parlamentsabgeordneten auf beiden Seiten, sondern auch von den Völkern getragen werden. SUSANNE KNAUL
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