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Scheffeln, bis die Bude wackelt

Der französische Atomkonzern Cogéma weigert sich trotz aller Warnungen seit fünf Jahren, die lukrative Anlage an der Rhône-Mündung zu schließen

von REINER METZGER

Die französische Atomaufsicht versucht seit fünf Jahren, eine erdbebengefährdete Fabrik in der Nähe der Rhône-Mündung zu schließen – vergeblich. In der Anlage werden hauptsächlich Brennstäbe für deutsche AKWs produziert, so genannte MOX-Mischoxid-Stäbe aus Uran und Plutonium. Die Betreiber weigern sich mit Hinweis auf die Verträge mit Deutschland und das daraus fließende Geld, die Anlage zu schließen.

Für die deutsche Atomindustrie ist eine Verarbeitung des Plutoniums wichtig: Sonst könnte die „schadlose Verwertung“ der abgebrannten Brennstäbe gemäß Atomgesetz nicht mehr gewährleistet sein, was das Ende der Wiederaufarbeitung deutscher Brennstäbe im Ausland bedeuten könnte. Eine Stellungnahme aus Deutschland war gestern jedoch weder von Regierungs- noch von Betreiberseite zu erhalten.

Das letzte Erdbeben in Cadarache war 1913, die Gegend ist tektonisch eine der aktivsten in Europa. Trotzdem wurde dort ab 1961 das Atelier de Technologie du Plutonium (ATPu) erbaut. Cadarache ist ein zentraler Komplex der französischen Atomindustrie. Das Atomzentrum liegt an der Duranche, einem Nebenfluss der Rhône etwas nordöstlich von Marseille. Auf dem Gelände stehen sieben mehr oder weniger große Versuchsreaktoren, diverse Nuklearlabors und -fabriken und drei Atommülllager.

Im Bereich des Zentrums, etwa dem Verlauf der Durance folgend, verschieben sich zwei Platten der Erdkruste gegeneinander. Diese Verschiebung verursacht Verwerfungen, von denen einige besonders aktive potentielle Bruchlinien praktisch rund um die Anlage herumführen. Seit 1993 stellen Geologen Anzeichen fest, die auf ein Erdbeben in naher Zukunft schließen lassen. Sie rechnen etwa alle hundert Jahre mit einem größeren Beben. Das kam auch der Atomaufsicht zu Kenntnis. Spätestens im Jahr 1995 forderte die Aufsicht eine Schließung der Anlage „kurz nach dem Jahr 2000“. Das beweist einer von mehreren Briefen der Behörde „Direction de la sûreté des installations nucléaires, kurz DSIN. Diese Briefe wiederum wurden jetzt vom atomkritischen World Information Service on Energy, kurz WISE, in Paris an die Öffentlichkeit gebracht.

„Ich betrachte diese Situation als inakzeptabel“, schrieb die DSIN im Oktober 1997. Die DSIN beklagt sich in dem Schreiben, dass verschiedene Anfragen nicht beantwortet würden. Die Betreiber weigern sich, die Forderungen der Atomaufsicht zu erfüllen. Pikant: Es handelt sich um das staatliche Kommissariat für Atomenergie, die Geschäfte vor Ort führt der ebenfalls vom Staat beherrschte Atomkonzern Cogéma. In einer Antwort an das DSIN vom Dezember 1997 heißt es lediglich süffisant, dass doch immerhin „vertieft“ nachgedacht werde, wie mit den seismischen Begebenheiten umgegangen werde und wie im Fall eines Erdbebens die Plutonium- und Uranstäube von der Umgebung fern gehalten werden könnten.

Makabres Ergebnis der Betreiberstudien: Ein entsprechender Umbau würde einen längeren Stillstand der MOX-Produktion zur Folge haben – was aus wirtschaftlichen Gründen natürlich unmöglich sei. Schließlich seien in den Neunzigerjahren bedeutende Summen in eine Modernisierung investiert worden. Außerdem könne das deutsche Plutonium – gewonnen aus Brennstäben in der WAA in La Hague – bis auf weiteres nirgendwo sonst in Frankreich verarbeitet werden. Und: Die MOX-Produktion könnte höchstens in die sogenannte Melox-Anlage nach Marcoule verlagert werden – wenn diese denn erweitert würde. Die Melox-Anlage wird aber wegen der dortigen hohen Risiken für die Umwelt ihrerseits von Anwohnern und Atomkraftgegnern heftig kritisiert. Außerdem wird im rot-grünen Koalitionsvertrag der Regierung in Paris eine Erweiterung der MOX-Kapazitäten ausgeschlossen. Ein Angestellter der Atomaufsichtsbehörde schrieb neben den entsprechenden Passus denn auch schlicht „Erpressung“, bevor er ihn entnervt an die grüne Umweltministerin Dominique Voynet sandte.

Cogéma bietet deshalb als einzig ernsthaften Vorschlag an, eine Betonhülle um die gesamte Fabrik herumzubauen. Für die Atomaufsicht ist das inakzeptabel: Das könnte noch zehn Jahre dauern und würde eine Beteiligung der Öffentlichkeit erfordern, gibt die DSIN zu bedenken. Die Plutoniumfabrik müsse deshalb schnellstens geschlossen werden, fordert die Behörde weiterhin.

Falls sich der bekannt atomfreundliche französische Staat entgegen dem Willen der eigenen Atomkonzerne wirklich zum Schließen von Cadarache entschließen sollte, wird es auch noch ein Verwaltungsproblem geben. Die MOX-Anlage in Cadarache ist nämlich offiziell noch als „Labor“ lizenziert – obwohl sie derzeit 40 Tonnen Brennstäbe im Jahr produziert und damit eine der größten Fabriken in Europa ist. Damit ist laut WISE jedoch unklar, welches Ministerium überhaupt für eine Schließung der Anlage zuständig wäre.

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