: Zu Hause wackelt der Stuhl
Der geschwächte israelische Premier Ehud Barak wird es schwer haben, wieder eine Basis für Verhandlungen mit den Palästinensern zu organisieren
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Ehud Barak ist müde und grau im Gesicht. Sein zentrales Ziel hat er in Camp David nicht erreicht, auch wenn er an der Hoffnung hängt: „Die Vision des Friedens ist noch nicht gestorben“, erklärt er vor seiner Heimkehr nach Israel.
Dort steht er erneut vor einem schweren Kampf: Er muss seine Regierung retten. In Jerusalem erwarten ihn ein Parlament mit knappen Mehrheiten, ein Kabinett mit vielen leeren Stühlen und eine Koalition, die in der jetzigen Konstellation nicht regierungsfähig ist. Barak muss neue Koalitionsverhandlungen führen. Und seine Lage ist erheblich schwieriger als im letzten Jahr, als sein überragender Wahlsieg noch gut in Erinnerung war.
Etwas mehr als ein Jahr im Amt hat Barak nur einen wirklichen Erfolg zu verbuchen: den Abzug seiner Truppen aus dem Südlibanon. Und auch der verlief mit der Massenflucht der Soldaten der mit der israelischen Armee verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA) nicht unbedingt so, wie es sich Israels Premierminister gewünscht hätte. In Camp David hat er nun alle seine Karten offen auf den Tisch gelegt, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen.
Die stabilste Regierung wäre wohl eine große Koalition mit dem oppositionellen Likud. Dessen Parteichef Ariel Scharon signalisierte nach dem gescheiterten Gipfel zum ersten Mal, dass er bereit sei, entsprechende Angebote zu prüfen. Doch die Festlegung gemeinsamer Regierungsgrundlagen wäre extrem schwierig. Die Vorstellungen der beiden Politiker gehen weit auseinander. Ein Abkommen mit den Palästinensern würde angesichts einer solchen Regierungskoalition noch unwahrscheinlicher. Scharon ist ein eingefleischter Gegner von Kompromissen vor allem in Sachen Jerusalem. Bereits im vergangenen Jahr hatten Barak und Scharon über eine gemeinsame Regierung verhandelt. Sie scheiterte an der Frage über territoriale Zugeständnisse bei eventuellen Verhandlungen mit Syrien.
Vorläufig wartet der Likud-Chef auf den Anruf des Premierministers. Aufgrund „technischer Probleme“ sei das bereits im Flugzeug geplante Telefongespräch nicht zustande gekommen, heißt es aus dem Umfeld des Premiers. Ganz ohne technische Schwierigkeiten klappte es indes, als Barak die Parteichefs der linken Meretz, der antireligiösen Schinui-Partei und den Gewerkschaftschef Amir Peretz anrief.
Doch ohne eine Regierungsbeteiligung des Likud bliebe Barak nur eine Rückkehr in die alte, stets brüchige Koalition mit der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei oder die Gründung einer Minderheitsregierung ohne religiöse Parteien. Diese könnte jedoch bei vielleicht doch noch anstehenden Verhandlungen mit den Palästinensern oder mit Syrien nicht die dann nötigen „schmerzlichen Kompromisse“ durchsetzen.
Mitte nächster Woche wird erneut ein Gesetzentwurf zu vorgezogenen Neuwahlen vor die Knesset gebracht. Barak könnte dem zuvorkommen, in dem er von sich aus das Parlament auflöst. Damit würde er jedoch nicht zuletzt mit Blick auf den 13. September ein großes Risiko eingehen. Die Palästinenser haben für diesen Tag die einseitige Deklaration eines eigenen Staates angekündigt. Gleichzeitig wollen sie die volle Kontrolle über das 1967 von Israel besetzte Gebiet übernehmen und gegebenenfalls jüdische Siedler „des Landes verweisen“. Die damit verbundene Gewalt ginge in Zeiten des Wahlkampfes erfahrungsgemäß zu Lasten des Kandidaten der Arbeitspartei.
Zum Ausbruch von Gewalt bedarf es möglicherweise nicht einmal der Ausrufung eines Staates Palästina. Seit Wochen haben sich Palästinenser und Israelis auf neue Kämpfe vorbereitet. Die Bevölkerung im Westjordanland demonstriert zwar vorläufig große Genugtuung angesichts der harten Verhandlungsposition ihres „Präsidenten“ Arafat. Dennoch bleibt die Frustration darüber, dass sich an ihrer Situation nichts verändert. Für den Fall, dass der Friedensprozess nicht weitergeht, rüstete vor allem die Fatah, die Partei Arafats, ihre Anhänger mit Schusswaffen aus. Im Gegenzug verteilt die israelische Armee Waffen in abgelegenen jüdischen Siedlungen. Eine verirrte Kugel dürfte reichen, um den Zorn auf der jeweils anderen Seite zu entfachen.
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