: Florida state of the art
Gestaltete Zimmer auf dem Spielbudenplatz in St. Pauli: Hamburg hat sein erstes Kunsthotel ■ Von Marga Wolf
Der Panoramablick vom Barhocker auf die Reeperbahn ist einmalig. Hat man schließlich genug von dem grellen Treiben da unten und ordentlich eingecheckt im Florida-the-art-Hotel, Hamburgs erstem Kunsthotel, kommt die Qual der Wahl: Auf welchen Kreativtrip will man sich, allein oder zu zweit, für den Rest der Nacht begeben? Vielleicht ist eine Behandlung im „Liebeskrankenhaus“ von Mariola Brillowska mit Schokoladengedichten und obszönen und romantischen Wortsalven auf der Tapete fällig. Oder man zieht sich zurück zum Schmökern und zu eigenen Schreibversuchen in Christiane Reimers „Literaturzimmer“ oder wandelt auf „Parzivals“ Spuren auf der Suche nach sich selbst.
14 Hotelzimmer wurden von unterschiedlichen Künstlern konzipiert und eingerichtet. Nach dem Vorbild von Kunsthotels, die es mittlerweile in allen Metropolen dieser Welt gibt, hat das Kunstkartell unter der Leitung von Julia Hennings den Umbau des am Spielbudenplatz zwischen Docks und Schmidt-Theater gelegenen ehemaligen Stricherhotels initiiert. Der Hamburger Architekt Amir Rezaii, verantwortlich für die Gestaltung, hat den Bar-Raum von Plüsch und Plunder befreit, die Linien und Rundungen der 50er-Jahre-Architektur wieder offen gelegt und mit klaren Formen ergänzt. Rund um die Uhr ist bereits seit drei Tagen die Art Bar geöffnet und lädt zu speziellen Events, wie den „Art for Better Life“-Club sonntags ab 19 Uhr.
Von Kiezatmosphäre und Rotlichtmileu haben sich einige der Künstler anregen lassen. Andere sind der unbestimmten Sehnsucht und Irritation des Fremdseins nach gegangen, die das Leben im Hotel, gerade in einer Hafenstadt, mit sich bringen. Für Klaus Neumann, der ein paar Straßen entfernt wohnt, war der Ortsbezug deutlicher Anreiz, sich mit seinem „Parzival“-Zimmer zu beteiligen. Die Mitarbeit am Bühnenbild für eine Londonder Inszenierung der gleichnamigen Wagner-Oper hatte den Hamburger mit der Parzival als „Reisendem, auf der Suche nach der eigenen Identität“, in Berührung gebracht. In die Wand eingelassene Spiegel bestimmen den in Rot und Gold gehaltenen Raum. Stilisierte Bourbonenlilien, Zeichen von Königen und, wie Neumann heraus fand, Brandmale von Prostituierten, zieren Boden und Wände. „Diese Mischung“, stellt er fest, „aus Kommerz und großer Freiheit hat mich an diesem Projekt fasziniert.“ Christiane Reimers, aufgewachsen in der elterlichen Reiterpension, ist familiär vorbelastet, was das Leben im Hotel angeht. Eine Schreibmaschine aus Opas Zeiten fordert in ihrem „Zimmer der Literatur“ auf, die eigenen Eindrücke zu Papier zu bringen. „Der Wandel in der Reiseliteratur über die Jahrhunderte“, erläutert Reimers, „gaben mir die Idee.“ Von Homers „Odyssee“ bis hin zu Stan Nadolnys „Netzkarte“ kann man in literarische Welten der Zimmerbibliothek aufbrechen. Oder man lässt den Blick die Wand entlang über ein Gedicht von Thomas Klees aus dessen Band „Spurlos werden“ gleiten, hinaus in den verwilderten Hofgarten auf der Rückseite des Hotels.
Angesichts der Mega-Kerls in Christiane Klapperts rot-schwarz tapeziertem Zimmer kann einem dagegen schon schwindelig werden. Männerakte versüßen hier die „Reise zum Zuckerhut“. Kuschelig weiche Schmuseobjekte, die in Cecile Noldus „Thearapieraum“ selbstlos ihre weichen Schaumstoffarme um bedürftige Körper schlingen, geben da wieder halt. Die „Verwaltung“ bietet „Big Brother“-Ambiente mit Monitorübertragung aus Bar und Hoteleingang und dem eigenen Zimmer. „Ein beliebtes Geschenk an Hochzeitspaare“, verrät Geschäftsführer Jochen Gerlach. Wer es weniger real haben will, der mietet sich in der „Camera Obscura“ ein, und erlebt den Kiez kopfstehend im Schattenriss, leicht koloriert wie eine alte Postkartenlandschaft. Eine wahrhaft surreale Reise.
Jeden zweiten Freitag im Monat wird eines der Zimmer im Beisein der Künstler präsentiert. Den Anfang macht (außer der Reihe) das Schäfchenzimmer von Ing-Marie Fröhling und Christine Pasucha.
Florida-the-art-Hotel, Spielbudenplatz 22, Telefon 31 43 93, Einzelzimmer 120 Mark, Doppelzimmer 180 Mark, inkl. Frühstück
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