piwik no script img

Spekulationen um die Täter

Noch ist nicht sicher, ob es sich um einen fremdenfeindlichen Anschlag handelte. Fest steht: In Düsseldorf gibt es gefestigte rechtsextreme Strukturen

aus Düsseldorf MARCUS MEIER

Die Szene gemahnte eher an Beirut als an die Bundesrepublik. Die Bombe, die am Donnerstag Nachmittag in einem Eingang des Düsseldorfer S-Bahnhofs Wehrhahn explodierte, verletzte neun Personen schwer. Sieben von ihnen stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Es handelt sich um jüdische Kontingentflüchtlinge, die einen Kurs in einer nahe gelegenen Sprachschule besuchten. Sie waren auf dem Weg zu ihren S-Bahnen, als die Bombe explodierte.

Die 24-jährige Tatjana L. verlor bei dem Anschlag ihr ungeborenes Kind. Ihren von der Explosion abgetrennten Unterschenkel konnten die Ärzte in einer Notoperation wieder annähen. Ihr Ehemann Michael L. (28) sowie zwei weitere Personen wurden schwer verletzt. Michael L. erlitt schwere Bauchverletzungen durch herumfliegende Bombensplitter, wie Staatsanwalt Johannes Mocken mitteilte. Die übrigen Verletzten, sechs Frauen und drei Männer, sind zwischen 24 und 50 Jahre alt.

Özkan Postal, der einen Kiosk in unmittelbarer Tatnähe betreibt, zeigte sich entsetzt. Die Opfer hätten in „richtigen Blutlachen“ gelegen. „Sie sahen aus, als wäre eine Granate in ihrer Hand zerplatzt“, berichtet er. Drei der Opfer hatten sich noch aus dem Ausgang auf die Straße geschleppt und seinen dort zusammengebrochen, sagte der 15-jährige Jürgen Peter, der den Opfern zur Hilfe geeilt war. „Sie waren blutüberströmt“, so der Jugendliche. Gestern befand sich noch ein Mann in Lebensgefahr.

Immer mehr Anschläge

Ein Anschlag mit rechtsextremem Hintergrund? Das ist – bisher – reine Spekulation. Fakt ist jedoch: Schüler der Sprachschule wurden bereits des Öfteren angepöbelt. „Wir wurden hier schon öfter angemacht“, berichtet eine 42-Jährige. „Russen und Juden sind hier nicht sehr beliebt.“ Fakt ist ferner: In diesem Monat hatte es in Nordrhein-Westfalen gleich zwei brutale Übergriffe gegen Ausländer und Antifaschisten gegeben. Am S-Bahnhof Düsseldorf-Derendorf, zwei Stationen vom jetzigen Tatort entfernt, wurden am 3. Juli zwei Ausländer von einer Gruppe Skinheads aus dem Umfeld der Band „Reichswehr“ angegriffen. Am darauf folgenden Wochenende wurde in Wuppertal eine Gruppe von ehemaligen KZ-Häftlingen während einer Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Kemna brutal angegriffen. Die Täter, die ihre Opfer mit Baseballschlägern und Tränengas traktierten, entstammen der Skinheadszene und waren zum Teil Mitglieder der NPD. Einer der mutmaßlichen Rädelsführer ist Landesvorstandsmitglied der rechtsextremen Partei, die sich immer mehr zu einem Auffangbecken für die militante Rechte entwickelt.

Die Landeshauptstadt Düsseldorf zählt zu fünf Städten und Regionen Nordrhein-Westfalens, in denen der Verfassungsschutz „gefestigte rechtsextreme Strukturen“ ausmacht. 1996 hatte es hier einen Brandanschlag auf ein von Aussiedlern bewohntes Heim gegeben. Der Täter hatte vor seiner Tat sämtliche Feuerlöscher aus dem Heim entfernt. Nur durch Zufall konnte der Brand entdeckt und gelöscht werden. Doch die Heimtücke reichte offenbar nicht aus, um den Brandstifter wegen versuchten Mordes zu belangen: Er ist längst wieder auf freiem Fuß, wird auf der Homepage der „freien Kameradschaft Düsseldorf“ als Held gefeiert.

Haben die Rechten nun gegen eine weitere ihnen missliebige Personengruppe zugeschlagen? Sollte dies der Fall sein, dann müsste man von einer neuen Qualität des Rechtsterrorismus in Deutschland ausgehen. Denn dann wäre der Anschlag minutiös geplant gewesen. Die Opfergruppe verließ jeden Tag zur selben Zeit die Schule, um zur S-Bahn zu gehen. Staatsanwalt Johannes Mocken betonte, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Täter sich dieses Wissen zu Nutze gemacht habe, „um die Gruppe gezielt zu treffen“. In diesem Falle läge es nahe, dass der Sprengkörper per Fernzündung zur Explosion gebracht wurde, so Mocken weiter. Es könne aber auch Zufall sein, dass sich die Bombenexplosion genau zu dem Zeitpunkt ereignete, als sich die Gruppe an der S-Bahn-Station Wehrhahn befand.

Versuchter Mord

Der Täter habe in Kauf genommen, „Menschen zu töten“, und dabei ein „gemeingefährliches Mittel verwandt“, weswegen die Staatsanwaltschaft neben gefährlicher Körperverletzung auch wegen versuchten Mordes ermittelt. Noch, so Mocken, gäbe es keine „heiße Spur“. Die Behörden versprachen sich von der Analyse des Sprengkörpers wesentliche Erkenntnisse für die Ermittlungen. In diese wurden das Landes- und Bundeskriminalamt eingeschaltet. Es bestehe auch Kontakt zum Generalbundesanwalt, sagte der Leitende Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Manfred Classen. Für Hinweise auf die Täter wurde eine Belohnung von 10.000 Mark ausgesetzt.

Namens der Landesregierung sprach der stellvertretende Ministerpräsident Michael Vesper den Angehörigen sein tiefes Mitgefühl aus. Der Grüne betonte, dass die Regierung dafür Sorge tragen werde, dass die Verantwortlichen gefasst und zur Rechenschaft gezogen würden. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, sprach von einem „Attentat gegen Menschen, unabhängig davon, ob es sich um Deutsche, Ausländer oder Juden handelt“. Er warnte indes vor voreiligen Spekulationen über mögliche antisemitische Motive.

Doch auch ohne rechtsextremen Hintergrund besteht kein Grund zur Beruhigung: Der Gedanke, dass ein Verrückter wahllos Menschen mit einer Bombe angreift, dürfte manch einem Düsseldorfer schlaflose Nächte bereiten. Noch in einem Kilometer Entfernung hat man die Detonation gespürt. „Ich dachte, das sei eine Gasexplosion“, sagte eine alte Frau. „Ist man in Düsseldorf denn gar nicht mehr sicher?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen