: Im Ernstfall ist man oft allein
Im Kampf gegen rechte Gewalt wird nun Zivilcourage gefordert. Dazu gehört auch die Unterstützung von großen und kleineren Institutionen. Die taz hat nachgefragt, wie weit es damit her ist
Seit dem Sprengstoffanschlag an einem Düsseldorfer S-Bahnhof, bei dem am vergangenen Donnerstag zehn Einwanderer aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion zum Teil schwer verletzt wurden, ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus wieder ein Thema. Neben politischen und polizeilichen Maßnahmen fordern jetzt Politiker und Prominenz von Grünenchefin Renate Künast über Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin bis hin zum Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans Olaf Henkel, Zivilcourage von der Bevölkerung. Doch was unternehmen eigentlich die Institionen in Berlin, damit man der rechten Gewalt entgegentreten kann? Die taz fragte nach, bekam jedoch leider nur dünne Konzepte präsentiert.
Bei der BVG
Barbara Mansfield, BVG-Sprecherin: Die BVG verpflichtet (wenn auch mit wechselndem Erfolg) alle Mitarbeiter, bis zu zwei mal jährlich ein Deeskalationstraining mitzumachen. Busfahrer hätten einen „roten Knopf“, mit dem sie sofort Hilfe rufen können.
Doch wer ohne Handy mit Tram, Bussen oder Bahnen unterwegs ist, habe „schlechte Karten“, selbst aktiv zu werden. Denn nur so könne man als Zeuge von Übergriffen Rechtsradikaler unauffällig die Polizei informieren, gibt die BVG-Sprecherin zu. In solchen Fällen soll der Fahrgast die Notbremse ziehen. Man habe dann sofort Sprechverbindung zu den Fahrern. U-Bahnzüge halten am nächsten Bahnhof. Der Zugführer verständigt inzwischen eine der vier Sicherheitszentralen der BVG. Auf den unbesetzten Bahnhöfen befinden sich je zwei Notrufsäulen, die man im Falle einer Bedrohung oder auch als Zeuge in Anspruch nehmen soll.
In der S-Bahn
Mathias Fuhrmann, Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der S-Bahn, weist darauf hin, dass die S-Bahn GmbH Zeugen rechtsradikaler Übergriffe ausdrücklich erlaubt, die Notbremse zu ziehen. Alle 500 neuen Züge seien mit Anlagen ausgerüstet, die mit dem Ziehen der Bremse eine Sprechverbindung zum Fahrer herstellen. 200 alte Züge wurden größtenteils nachgerüstet.
Der Fahrer alarmiert dann den „Lagedienst Sicherheit“ in der Betriebsleitstelle, dieser wiederum gegebenfalls den Bundesgrenzschutz. Das Bahnpersonal selbst werde angewiesen, zu helfen. Die Art der Hilfe aber sei den Beschäftigten selbst überlassen. „Das kann man nicht trainieren, dass muss man individuell entscheiden“, sagt Fuhrmann. Die S-Bahn habe ihre Züge und die Bahnhöfe mit Aufforderungen zu Zivilcourage plakatiert. Der Wortlaut: „Helfen Sie, sprechen Sie den Nachbarn an“. Einige dieser Plakate hängen laut Fuhrmann noch. Andere sind abgerissen und überklebt.
Im Einkaufszentrum
Rolf-Siegfried Plasa, Manger des Gesundbrunnen-Centers, hat kein spezielles Konzept gegen rechte Gewalt. Er betont nur, dass der Sicherheitsdienst für die Sicherheit der Kunden zuständig ist. Er soll eingreifen und das Schlimmste verhindern, dann muss er die Polizei rufen. Plasa sieht einen großen Vorteil darin, dass „wir hier in einem geschlossenen Gebäude sind“. Durch Patroullien könne man Übergriffe im Ansatz verhindern. Er selbst würde eingreifen, „auf jeden Fall“. „Man darf einfach nicht weggucken.“
Im Stadion
Daniel Goldstein, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei dem Eishockeyverein Eisbären Berlin, setzt auf das „sehr gut funktionierende Konzept unserer Fanordnungsgruppe“. Die besteht aus etwa 60 früheren Fans, die ihren jeweiligen Block gut kennen und sofort dazwischengehen, wenn etwas passieren sollte. Sie versuchen dabei, den oder die Angegriffenen zu beschützen, und fordern, wenn nötig, Verstärkung an.
Eine Konfliktsituation sei aber nicht immer gleich zu erkennen. Wer eine beobachtet, könne sich immer an die Mitglieder dieser Fanordnungsgruppe wenden. Natürlich sollte man als Beobachter einer gewaltsamen Auseinandersetzung im Eisstadion versuchen, mit ruhigen, aber bestimmten Worten auf Personen einzuwirken, die Gewalt ausüben.
„Solche Auseinandersetzungen sind bei uns im und auch vor dem Stadion selten geworden, weil wir couragierte Fans haben, die auch eingreifen.“
In der Schule
Dieter Haase, Lehrer und stellvertretender Vorsitzender der GEW Berlin: „Lehrer sind von Amts wegen verpflichtet, die Schüler zu schützen. Sie müssen deswegen bei Handgreiflichkeiten eingreifen und sollten versuchen, die Täter bei ihrer Aktion zu isolieren.“ Pädagogisch korrekt empfiehlt Haase zum eigenen Handeln, erst einmal Öffentlichkeit herzustellen und Passanten auf die Situation aufmerksam zu machen. „Wenn möglich – falls es sich bei den Angreifern vielleicht nur um zwei bis drei Personen handelt – sollte man sich auch direkt einmischen und mit verbalen Mitteln versuchen, die Gewalt zu beenden.“
Auf dem Campingplatz
Sabine Wannicke, Platzausschussvorsitzende des Campingplatzes „Bürgerablage“ in Spandau: „Unser Platzwart ist Engländer: Ich weiß nicht, wie Rechtsradikale reagieren würden, wenn er einschreiten würde. Solche fremdenfeindlichen Vorfälle gab es bei uns aber noch nie.“ Allein, so Wannicke, könne man da nichts tun. „Also sofort die Polizei rufen, vielleicht auch andere Camper. Als Einzelperson sollte man aber telefonieren, bevor man eventuell einschreitet – nicht dass man nachher nicht mehr telefonieren kann. Das Gleiche gilt für die hier Angestellten.“
Im Jugendclub
Sabine Eggert, Betreuerin im Jugendclub Lindenhof, Schöneberg: „Erst einmal: Wir sind eine Multikulti-Oase. Hierher kommen Jugendliche vieler Nationalitäten und alle vertragen sich.“ Ein fremdenfeindlicher Übergriff werde nicht geduldet: Die Jugendlichen würden dazwischen gehen, „auch mit Fäusten“.
Ob man als Einzelner einschreiten sollte, müsse man von der jeweiligen Situation abhängig machen. Auf jeden Fall sollte man die Polizei rufen.
PLU/BIS/KAH/EKÜ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen