: Bewegt, aber nicht frei
Germaine Greer, die letzte feministische Utopistin, will die weibliche Emanzipation retten und scheitert. „Die ganze Frau“ heißt das neue opulente Werk der berühmten Autorin
von HEIDE OESTREICH
„Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt“ (Horkheimer/ Adorno: Dialektik der Aufklärung).
In den verheißungsvollen Seventies schlummerte in den Menschen, tief vergraben durch allumfassende Repression, noch das andere, das wunderbare, befreite Leben. Da war das Ganze, das Falsche – das galt auch für die Geschlechter: Männer als rationale Kampfmaschinen und Frauen als emotionale Leidende. Es musste einfach noch etwas ganz Anderes geben. Das war die Mission der Germaine Greer.
Der weibliche Eunuch“, so hatte die Literaturwissenschaftlerin und Feministin Greer die Frau 1970 in ihrem berühmtesten Buch charakterisiert. Die systematische Repression weiblicher Energie hat Frauen zum nützlichen Spielzeug für Männer degradiert, das war ihre Generalthese. Was die in England lebende Australierin bei der Suche nach der verlorenen Energie leitete, war eine Utopie. Jetzt fordert Greer das Comeback. „Die ganze Frau“ heißt ihr neues Werk.
Seltsam unzeitgemäß wirkt es, im Jahr 2000 mit einer Vision von Ganzheitlichkeit aufzuwarten. Wo die Identitäten längst zerfasert sind und es eher um günstige Positionen im strategischen Spiel um Macht und Anerkennung geht, betreibt man Glückssuche nur auf der Individualebene; ein Managementlehrgang mit integriertem Yogakurs erscheint allemal vielversprechender als der gesellschaftliche Kampf zur Befreiung der – ja was denn eigentlich? – Weiblichkeit.
Der Begriff Emanzipation sollte 1970 vor allem ins Offene weisen: „Das Buch ist in der Hoffnung entstanden, Frauen möchten entdecken, dass sie einen Willen haben; wenn das geschieht, werden sie uns sagen können, was sie wollen und wie sie es wollen.“
Dreißig Jahre später wollen die Frauen ziemlich viel – für Greer aber das Verkehrte. Anstatt die Geschlechter zu revolutionieren, marschieren die Frauen geradewegss ins System der Männer und des Kapitals: Barbie goes business. Die Wut sei in ihr hochgekocht, schreibt Greer, als „Lifestylefeministinnen“ befanden, „der Feminismus sei schon weit genug gegangen, als er ihnen das Recht auf alles, das heißt Geld, Sex und Mode, gegeben habe“.
Es sind aber auch die ernsthafteren unter den jüngeren Feministinnen, die ihr heiliger Zorn trifft: Natasha Walters oder Naomi Wolf, die Hillary Clinton und Cherie Booth feiern und jedes Prozent Weiblichkeit in den Führungsetagen der Konzerne als Sieg des Feminismus bejubeln. Gleichstellungspolitik, das war für die Radikalfeministin Greer schon immer ein fundamentaler Irrtum: „Die visionären Feministinnen der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre wussten, dass Frauen nie Freiheit erlangen konnten, indem sie das Leben unfreier Männer lebten“, schreibt sie in „Die ganze Frau“.
Hier spricht auch die Wut der Antikapitalistin auf jene, die ihren Frieden mit dem System gemacht haben: „Wenn Gleichheit das Recht auf einen gleichen Anteil an den Profiten einer Wirtschaftstyrannei bedeutet, ist sie mit Emanzipation unvereinbar.“ Das neue Buch ist eine strikte Beweisaufnahme ihrer Anklage: Bewegt hat sie sich, die Frau, aber befreit hat sie sich nicht.
Greer durchforstet auf gut vierhundert Seiten alle Bereiche der feministischen Kämpfe der letzten Jahrzehnte: Sie verhandelt nichts weniger als die Zurichtung und Kontrolle des weiblichen Körpers durch die Medizin, das weibliche Leiden an Lohnsystemen, Hausarbeit und Komsumterror, die seelischen Grausamkeiten in verschiedensten Partnerschaftskonstellationen und schließlich den Geschlechterkampf um die männliche Macht in Politik, Kultur und Wirtschaft.
Eine Art Fortsetzung zu „Der weibliche Eunuch“ sollte es werden. Aber zwischendurch scheint Greer das analytische Instrumentarium abhanden gekommen zu sein. Dagegen war „Der weibliche Eunuch“, so pointiert und polemisch das Buch daherkam, geradezu von methodischer Strenge: Es deklinierte eine an der psychoanalytischen kritischen Theorie geschulte Grundthese von der Repression weiblicher Lebensenergie durch.
Geraubt worden war diese Energie schon dem kleinen Mädchen, dem generell weniger Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil wurde als Jungen. Während Jungen in ihrer Eigenheit bestärkt wurden, lobte man Mädchen für Gehorsam und Fügsamkeit. Von Männern, so Greer, bekamen Mädchen und Frauen nur in ihrer Eigenschaft als Sexualobjekt Anerkennung. Mangels Eigenliebe blieb die Frau zeitlebens leistungsschwach und angewiesen auf Lob von außen – vor allem von Männern.
Durch diese psychoenergetische Grundlegung ließ Greer in „Der weibliche Eunuch“ zweierlei zu: einmal einen großzügigen Ansatz weiblicher Selbstkritik: „Frauen sind unfähig zur Liebe, weil sie, infolge ihres unzureichenden Narzissmus, sich nicht am Anblick ihres eigenen Geschlechts erfreuen“, heißt es. Wer sonst hätte ein ganzes Kapitel dem weiblichen Ressentiment gewidmet; der Analyse, wie Frauen ihre Beziehungen versauen, indem sie hilflose und hinterhältige Attacken gegen ihre Partner reiten, weil die im patriarchalen System jederzeit in der besseren Position bleiben.
Zum anderen war die energetische Analyse auch auf den Mann anwendbar: „Männer sind Feinde auf eine ganz ähnliche Weise wie irgendein verhetzter Junge in Uniform der Feind eines anderen war, der sich außer in der Uniform kaum von ihm unterschied. Eine mögliche Taktik ist es, zu versuchen, ihm die Uniform vom Leib zu reißen.“
Den „Stahl aus dem Penis entfernen und das Fleisch wieder sichtbar machen“, der Kampf gegen den Mythos des ewig erigierten Phallus – das war die historische Aufgabe der Frauen 1970.
Im Jahr 2000, so meint Greer, befindet sich der Schwanz dank Viagra in der Dauererektion. In der „Ganzen Frau“ heißt es: „Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden mehr Frauen tiefer und häufiger gefickt als in irgendeiner Epoche zuvor.“ Was auch immer die empirische Grundlage solcher Informationen sein mag, sie werden auch theoretisch nicht mehr begründet, sondern lediglich zu einem apokalyptischen Bild montiert.
Der Körper der Frau ist nach wie vor ein Schlachtfeld: Sie wird per Schönheitschirurgie in Form gebracht, mittels Hormonbehandlungen unfruchtbar (Pille) und dennoch penetrierbar (Östrogenkur in den Wechseljahren) gehalten. Die umstrittenen regelmäßigen Mammografien zur Früherkennung von Brustkrebs dienen letztendlich der Kontrolle der Frau durch den männlich-medizinischen Apparat. Niemand fragt nach dem Befinden der Frau bei einer künstlichen Befruchtung, im Blickfeld steht allein das Entzücken der Männer, künstlich Menschen herstellen zu können. „Feministinnen forderten das Recht, unseren eigenen Körper zu kontrollieren; bekommen haben wir die Pflicht, unseren Körper der Kontrolle anderer zu unterwerfen.“
Die Freiheit, die Greer will, darf keinen Preis haben: Soll eine Frau sich nicht mit dem Medizinkomplex auseinander setzen, wenn sie ein Kind mit Hilfe künstlicher Befruchtung bekommen will, was übrigens auch Greer selbst – vergeblich – versuchte? Nein, das gesamte System ist das Böse. Zu Greers weiblicher Freiheit gehört keinesfalls, sich mittels Chirurgie bessere Chancen auf dem Sexmarkt zu versprechen, wie es auch Männer mit Toupets und blauen Pillen tun.
Strenger und bitterer ist das Urteil über den Mann an sich geworden. Der ist von Penetrationsmanie besessen, Ausweg für Frauen: zero. „Kein Sex ist besser als schlechter Sex.“ Punkt. Was ist das anderes als genau die Dämonisierung und damit auch Überhöhung des Schwanzes, die sie an anderer Stelle so vehement beklagt?
Auch was Partnerschaften und Kinder angeht, kann Greer keinen Fortschritt entdecken: Die Avantgarde der erziehenden Männer ignorierend, stellt sie lediglich fest, dass die Männer schön blöd wären, sich die unattraktive Erziehungsarbeit ans Bein zu binden, und es deshalb selbstverständlich auch nicht tun. Alle Appelle seien naiv.
Wo auch immer Frauen Fortschritte machten, waren es laut Greer Schritte in ein weiteres Verhängnis: Frauen, die Karriere machen, treten ein in eine Kultur der Aggression. Sie zitiert eine Studie, nach der „Karrierefrauen“ überdurchschnittlich hohe Testosteronwerte aufweisen. Doch während sie einerseits suggeriert, dass der Eintritt in die Männerwelt Frauen verbiegt, diffamiert sie andererseits den viel zitierten „weiblichen Führungsstil“: „Darauf zu beharren, dass der Managementstil von Frauen grundlegend sanfter und zuvorkommender ist, ist eine sehr gute Methode, um sicherzustellen, dass die Macht dort bleibt, wo sie ist: auf der Herrentoilette.“ Schön gesagt, aber wie soll denn weibliche Macht aussehen, wenn sie sich weder weiblicher noch männlicher Verhaltensformen bedienen darf?
Greer hat ihr Handwerkszeug freiwillig und ohne nachvollziehbaren Grund aus der Hand gelegt. Was fehlt, um ihre Beweisaufnahme zu untermauern, ist die Fortsetzung der Analyse, die den „Eunuchen“ überzeugend wirken ließ. Bei Greer ist die Frau entweder Opfer oder Mittäterin – ein binärer Code und insofern patriarchal.
HEIDE OESTREICH, 31, ist Inlands- und frauenpolitische Redakteurin der taz.
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