Mit Ideen zur Macht

HALBZEIT FÜR DEUTSCHLAND (2): Machtpolitik kann die CDU nicht machen. Dazu fehlen ihr die Mehrheiten. Jetzt muss sie Ideen, Programm und Profil entwickeln

Vor ein paar Monaten, als das Jahr noch jung, Helmut Kohl noch mitten im Spendensumpf und Angela Merkel schon eine Hoffnung war, da konnte man meinen, die CDU habe nun das Schlimmste hinter sich gebracht und werde langsam den Weg aus der Krise finden, mit frischen Gesichtern, einer anderen Sprache und sogar der einen oder anderen unverbrauchten Idee. Der Parteitag in Essen im April war der Höhepunkt dieser Entwicklung. Inzwischen freilich kann jeder sehen, dass die CDU ihren langen Marsch durch die Wüste der Opposition noch vor sich hat.

Die üblichen Erklärungen verweisen auf die „Fehler“ des Friedrich Merz, der Angela Merkel, des Helmut Kohl – oder auf jene unzuverlässigen „Parteifreunde“, von denen man im Bundesrat nur noch den Staub gesehen hat. Doch diese Erklärungen bleiben angesichts der Wucht der Ereignisse ziemlich äußerlich. Im Rückblick wird klar: Die CDU hat fast zwei Jahre in einem Ausnahmezustand gelebt, erst wie betäubt durch unerwartete Erfolge bei den Landtagswahlen 1999, danach in einem Zustand der Schockstarre, aus den bekannten Gründen. Jetzt wacht sie langsam wieder auf, kommt allmählich wieder zu sich, aber sie weiß nicht mehr, wer und wo sie ist. Sie selbst hat sich verändert und die politische Landschaft auch.

Auch mit Wolfgang Schäuble in seiner besten Form und ohne Helmut Kohl mit seinen dunklen Geschichten hätte die CDU/CSU nach 1998 schwere Zeiten vor sich gehabt und einige Fragen einige Zeit, nicht aber zentrale Fragen auf Dauer verdrängen können: Was bleibt vom Erbe Kohls, und was ist schief gelaufen in all den Jahren? Wie lässt sich ihre Formel zur Macht in eine veränderte Zeit retten, jene eigentümliche Melange von Laisser-faire und Ordnung, Kapital und Kleinbürgern, Ressentiments und Liberalität? Was hält diese Partei überhaupt noch zusammen? Und wie will sie wieder zurück an die Regierung?

Eine Expedition in Neuland wäre für die CDU so oder so kaum zu vermeiden gewesen. Jetzt muss sie diese Reise ins Ungewisse antreten mit Steuerleuten ohne Erfahrung und Autorität, über die Abgründe der Spendenaffäre hinweg, in einer neuen politischen Landschaft, und dies mit den alten Karten und Kategorien. „Die politische Mitte, in welcher sich Schröder mit Wonne tummelt, ist für die CDU zu einem Minenfeld geworden“, so hat es kürzlich die Neue Zürcher Zeitung auf den Begriff gebracht. Erst später wird man wissen, ob in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts Macht und Mehrheit in der Mitte sich zwischen der CDU/CSU und der SPD dauerhaft zu verschieben begonnen haben.

Die CDU hat, als es ihr vor Jahresfrist noch ganz gut ging, nicht wirklich darüber debattiert, wohin die Reise nach der scheinbar immerwährenden Regentschaft Kohls gehen sollte. Als die Union dann plötzlich in schwere Wetter kam und auf eine immer stärkere Regierung stieß, wurde sie nervös, ängstlich und kleinmütig. Sie war – wie sollte sie auch? – keine selbstbewusste, gelassene Partei mehr. So suchte sie ihre Zuflucht in einer Konfrontation aus Schwäche: Am Anfang des Desasters im Bundesrat stand die wachsende Sorge der CDU, bei der Bundestagswahl im Jahr 2002 von Anfang an in ein verlorenes Rennen zu gehen, wenn die Regierung Schröder erst einmal mit der Steuerreform und der Rentenreform sichtbare Erfolge vorzuweisen hat. Verhindern statt gestalten, wenigstens noch einen Sommer lang die Regierung vorzuführen, das war das Kalkül der politischen Meisterdenker. So kam die Union in eine Lage, dass sie torpedieren musste, was sie gestern noch gefordert hatte. So kam es, dass sie gegen eine Reform zu Felde zog, die von ihren eigenen (Petersberger) Steuerbeschlüssen kaum zu unterscheiden war. Jetzt ist sie von der Macht weiter entfernt als je zuvor, und ein Ausweg ist nicht in Sicht.

Konsens, Konfrontation, Kampagnen? Es sind falsche Münzen, die gehandelt werden. Eine Konfrontation – und Ähnliches gilt für eine Kampagne – ist ja nicht a priori verwerflich oder zum Scheitern verurteilt. Doch ihr Erfolg hängt an zwei Prämissen: Es muss ein Thema geben, das für die Wähler plausibel ist, und es muss Personen geben, die zu dem Thema passen. Das kam bei Kochs Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zusammen. Gegenwärtig fehlt der CDU beides, Personen und Themen. Angela Merkel und Friedrich Merz wirken als Agitatoren gegen die gleichgeschlechtliche Ehe wenig glaubwürdig. Aber auch das Thema ist nicht kampagnefähig, da es, anders als damals die zwei Pässe, keine einfache und eindeutige Zuspitzung zulässt und die Mehrheit auch nicht wirklich berührt. Fundamentalopposition bei der Steuer-, Renten-, Gesundheits- oder Einwanderungspolitik, gegen Positionen, in denen sich Regierung und Opposition kaum unterscheiden?

Machtpolitik kann die CDU nicht machen. Dazu fehlen ihr die Mehrheiten. Fehlen ihr zur Ideenpolitik die Ideen? Die CDU hat sich in den vergangenen zwei Jahren mit Erfolg bemüht, und Angela Merkel hat viel dazu beigetragen, die Programmatik auf wichtigen Feldern (Familie, Soziales) zu durchlüften – nur hat es keiner gemerkt. Dabei war es der richtige Weg. Eine Doppelstrategie könnte darauf hinauslaufen, im Parlament und durch die Fraktion die Regierung zu kritisieren, wo möglich zu kooperieren, andere Gesetze abzulehnen: Warum sollte eine konservative Partei über die Homo-Ehe nicht anders denken als Rot-Grün? Für die Partei gibt es keinen vernünftigen Grund, immer nur den Themen der Regierung hinterherzuhecheln. Über die Resonanz von Ideen in der Öffentlichkeit entscheidet keine Mehrheitsregel. Es gibt genug politische Felder, die brachliegen, von der Bildungspolitik über die lokale Beschäftigungspolitik (u. a. durch eine Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe) bis hin zu Fragen, die den sozialmoralischen Haushalt der Gesellschaft betreffen: Statt immer nur abstrakt von Werten, Gemeinschaft und sozialen Pflichten zu reden, könnte die CDU das anstehende Freiwilligengesetz dazu nutzen, eine Selbstverpflichtung des Staates darin zu verankern: allen jungen Menschen, die wo und wie auch immer ein Jahr lang einen sozialen Dienst ableisten wollen, dies auch finanziell zu ermöglichen.

In ihrer Fixierung, die Regierung zu schwächen, hat die CDU/CSU Bundeskanzler Schröder den bisher größten Erfolg beschert. Für die zweite Halbzeit scheinen die Koordinaten klar: Wenn es den Unionsparteien gelingt, die Wahlniederlage im Jahre 2002 in Grenzen zu halten und in der Zwischenzeit an einem politischen Profil zu arbeiten, das mittelfristig wieder Mehrheiten in Sichtweite bringt, dann wird diese Legislaturperiode für sie eine erfolgreiche gewesen sein. Ihr Schicksal entscheidet sich – wie das der Regierung – ohnehin erst in der nächsten Legislaturperiode. Dann wird sich zeigen, was Episode war und was Epoche werden könnte. Und dann hat die CDU möglicherweise wirklich die Wahl, zwischen zwei Personen (Merkel und Koch) – und zwischen zwei Formen bürgerlicher Politik.

WARNFRIED DETTLING

Hinweise:Konsens, Konfrontation, Kampagnen? Es sind falsche Münzen, die gehandelt werden. Es fehlen Personen und ThemenDas Schicksal der CDU entscheidet sich wie das der Regierung erst in der nächsten Legislaturperiode