piwik no script img

Ein mutiger Fachmann

Der Steinmetz Otmar Kagerer zeigte Zivilcourage und wurde deshalb zum Ziel rechter Gewalt

Auf die Idee, eine Versicherung für seine Lager abzuschließen, darauf ist der Steinmetz Otmar Kagerer nie gekommen. Warum auch? Zum einen kostet das viel. Aber vor allem: Wer könnte schon Interesse daran haben, Grabsteine zu beschädigen, noch dazu unfertige? Doch genau das geschah in den Abendstunden des 19. November vergangenen Jahres in Berlin-Marzahn. Sachschaden 60.000 Mark, Täter unbekannt.

Es war ein politischer Anschlag gegen den Steinmetzen, denn Kagerer hatte sich einige Wochen zuvor zu einer couragierten Tat entschlossen: Mit Innungskollegen hatte er begonnen, über 100 Grabsteine wieder aufzurichten und zu reparieren, die am 3. Oktober 1999 in Berlin-Weißensee, auf einem der größten jüdischen Friedhöfe Europas, verwüstet worden waren. Den Schaden zu beheben, dazu sei ein „Fachmann“ nötig gewesen, erzählt Kagerer. Er und seine Kollegen handelten. Kostenlos.

Der Name Kagerer fiel in der Presse – nicht allen gefiel das. „Ihr Judenschweine“, musste sich seine Frau Johanna plötzlich am Telefon anhören, „wenn ihr die Steine noch einmal anfasst, bringen wir euch um!“ Frau Kagerer, genau wie ihr Mann Otmar Steinmetzmeister, ließ das nicht unberührt: „Da geht was ab im Kopf“, meint sie. In ihrer Familie gab es Kommunisten, die während der Nazizeit Juden nach Frankreich schleusten, ihr Großvater landete sogar im Konzentrationslager.

Und dann die Verwüstung ihres Lagers. Die Polizei ermittelte schlampig, das Verfahren wurde vor Monaten eingestellt. Nur den Anrufer hat man gekriegt. Ein 62-jähriger Rentner aus Berlin-Schöneberg ist geständig. Erst auf Anraten von Freunden ging Kagerer an die Öffentlichkeit: Sie gebe hier Schutz, „Zivilcourage“ sei jetzt gefragt. Die Medien berichteten ausführlich über seinen Fall, die Amadeu Antonio Stiftung sammelte Geld für ihn – denn Kagerer hatte ja keine Versicherung. Das Geld, um die Schäden des Anschlags zu beheben, ist mittlerweile zusammen.

„Man hat mir reichlich auf die Schulter geklopft“, erzählt Kagerer heute. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) überreichte ihm das „Band für Mut und Verständigung“ – der Steinmetz spricht nicht so gern davon. Der Presse würde er nicht mehr wie damals nach der Hilfe für den Jüdischen Friedhof seinen Namen nennen. Dass jetzt schon Politiker, die doch sonst eher Optimisten seien, vor den Rechtstextremen warnten, sei „mehr als beängstigend“. Aber vielleicht werde es ja besser, wenn es nach und nach weniger Arbeitslose gebe, meint er zaghaft. Aber sehr überzeugt wirkt er nicht. PHILIPP GESSLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen