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Wenn die Duzfreundschaft Teamchef wird

Rudi Völler ist der Mann der Stunde. Warum? Weil der Teamchef der deutschen Nationalmannschaft auf seine natürliche Autorität vertraut, die Fans einen Helden gefunden haben und die Spieler seine Zeichen richtig deuten

HANNOVER taz ■ Was wird Christoph Daum dazu sagen? Wird er mit einem mulmigen Gefühl die Ovationen für Rudi Völler verfolgt haben? Sieht er den reibungslosen Übergang von der Not- zur Wunschlösung vielleicht gefährdet? Wird es Trauer geben, wenn Völler am 1. Juni 2001 dem Leverkusener Übungsleiter weicht?

Volkes Zuneigung ist dorthin gefallen, wo sie immer war. Auf Rudi Völler. Es ist eine Duzfreundschaft, die über einen gedehnten Selbstlaut herausgeschrien wird. Ruuuudi rufen die Fans und schreiben Plakate wie „Westererde wünscht Rudi viel Erfolg“. Manch einer zieht die alten Trikots aus der aktiven Zeit des Hessen wieder an. Nach dem 3:0 haben sie gerufen: „Wir woll’n den Trainer seh’n.“ Am liebsten hätten ihn die 55.000 im Niedersachsenstadion auf den Rasen geschickt. Aber auch daneben taugt er ihnen als Held.

Völler sagte nach dem Spiel, er habe sehr unter Druck gestanden. Merklich war das kaum. Gelassen, fast somnambul ließ er die Schlaglichter der Fotografen über sich ergehen. Er sagte wiederum keine hehren, überschwänglichen Sätze. Der 40-Jährige bleibt bescheiden in der Aussage („der Jubel ist übertrieben“) und verbissen im Ziel, aus der Nationalmannschaft wieder ein Qualitätssymbol zu formen. „Wir müssen nach vorne schauen. Hannover ist schon Vergangenheit“, appellierte er.

Völler, der im DFB-Team 47 Tore schoss, muss nun als Fußballdiplomat Tore öffnen, beziehungsweise schießen lassen. Seinen Spielern impfte er mit Reden „bis zur Besinnungslosigkeit“ Verantwortung ein. Auch deutsche Tugendhaftigkeit. Deswegen redet Völler gern von „Wille, Einsatzbereitschaft, Kampf und Engagement“. In seiner Profikarriere, die ihn von Offenbach, München und Bremen über Rom und Marseille nach Leverkusen führte, ist der wegen seines lichten grauen Haares „Käthe“ Geheißene zum Garant für effektives Spiel geworden. In seiner neuen Rolle mimt er nun nicht den umstürzlerischen Aktionisten, sondern verlegt sich auf Dezenz, natürliche Autorität und seine Aura, die sich nach der Weltmeisterschaft 1990 in Italien stratosphärenhaft groß aufbaute. Damals spuckte ihn der Niederländer Frank Rijkaard an. Völler blieb ruhig. Immer Profi. Das brannte ihn noch mehr in die Herzen der Anhänger ein. Ein Fakt, den auch die Werbung ausschlachtete. Im Trailer eines Reiseveranstalters lächelt Völler so ergreifend zutraulich, dass die Deutschen die Reisebüros in Scharen stürmen sollten. Nun sind wohl nach Zeiten der Auszehrung auch wieder Fußballstadien dran. Vergessen ist die Prozedur, in der er in einer Kölner Villa mangels Alternative zum Teamchef berufen wurde. „Plötzlich haben mich alle angeschaut.“ Natürlich sagte er nicht Nein.

Aber was passiert, wenn der Mann mit dem stählernen Blick kommt? Mögen den die Fans dann auch? Oder macht Christoph Daum sein kantiges Wesen durch Kompetenz vergessen? Wenn Rudi Völler so weitermacht, kann er nicht gehen. Er muss als Maskottchen des Guten für den deutschen Fußball weiterwirken. MARKUS VÖLKER

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