Alles aus der Hand von Kleihues

Neue Stadtmöbel liegen im Trend und haben selbst dem Urinieren wieder ein urbanes Umfeld verliehen. Mit der Fertigstellung der ersten Toiletten, Kioske und Telefonzellen Unter den Linden droht nun ein neuer Architekturstreit

Wer zu den Letzten gehört, die sich Josef Paul Kleihues’ Ausstellung „Architektur der Stadt“ im Neuen Museum nicht entgehen lassen wollen, wird um eine Neuerfindung städtischer Architektur geprellt. Hundert Jahre Architekturgeschichte hat Berlins wohl einflussreichster Architekt und Stichwortgeber der „Kritischen Rekonstruktion“ Revue passieren lassen, doch entscheidend ist das hundertunderste. Hat sich Kleihues nicht getraut?

Unter den Linden hat er. Seit der vergangenen Woche stehen Kleihues’ „Stadtmöbel“ auf dem Mittelstreifen des Berliner Vorzeigeboulevards. Berlins Toilettenkönig Hans Wall hatte den Auftrag gegeben und Kleihues den Entwurf geliefert. Herausgekommen sind eine Toilette, ein Verkaufskiosk für das Café Einstein sowie eine Telefonzelle. Während sich Toilette und Verkaufskiosk, von der Nutzung einmal abgesehen, nur durch verschiedene Schriftzüge auf der Informationsbordüre („Café Einstein“ und „City-Toilette“) unterscheiden, kommt die Telefonzelle gleich zweistöckig daher – vielleicht als Hommage an die Kommunikationsgesellschaft, der alle anderen Bedürfnisse des Nahrungsmittel- und Ausscheidungszyklus untergeordnet sind.

Der Trend zur Möblierung in neuen Gewändern ist jedenfalls offenkundig. In der Friedrichstraße steht neuerdings eine Kopie eines ehemaligen Wachtturms samt Sandsäcken davor, und an weiteren 140 Orten der Stadt erinnern die alten City-Toiletten mit ihren vorgehängten Granitfassaden an den Urbanitentraum urbanen Urinierens. Spätestens mit den Kleihues’schen Stadtmöbeln steht Berlin freilich wieder mitten in einer neuen Architekturdebatte.

Der stellvertretende Landeskonservator des Denkmalamts, Klaus-Henning von Krosigk, hatte angefangen: „Rückwärts gewandte, nostalgische Architektur passt nicht zu den Linden“, verriet er der Berliner Zeitung. Vor zwei Jahrhunderten habe der Architekt Friedrich Gilly, ein Lehrer Karl Friedrich Schinkels, mit ungewöhnlichen Laternen neue Maßstäbe gesetzt. Nun tue das Kleihues mit seinen Toilettenhäuschen.

Eigens für Berlin, so hieß es bei einem städtebaulichen Wettbewerb, aus dem Kleihues als Sieger hervorgegangen war, sollten die neuen Toiletten und Stadtmöbel entworfen werden. Zweifler haben allerdings herausgefunden, dass die Berliner Kleihues-City-Toilette der Firma Wall der ebenfalls von Kleihues für Wall entworfenen Marke „Streetline“ in New York täuschend ähnlich sieht. Zwar versuchte Kleihues umgehend abzuwiegeln und verwies auf die verschiedenartige Rippung der Fassade, doch die Neider stehen bereits in den Startlöchern.

Am Hackeschen Markt, so munkelt man, will der Preußen-Architekt Helmut Maier einen Kiosk in Form eines Cafés Achteck errichten. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich auch die Gegner des steinernen Berlin zu Wort melden. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Mülleimer von Hans Kollhoff, einem Fahrradständer von Daniel Libeskind oder einem Bauzaun im Stile des Dekonstruktivismus von Zaha Hadid? UWE RADA