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bubi diepgenDER MUFF VON 40 JAHREN

Es klang nach klammheimlichem Einverständnis, was der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zum Tod des Ex-Boxers Gustav Scholz verlauten ließ: „Viele Berliner hielten ihm auch in den schweren Stunden die Treue, als er wegen der tödlichen Schüsse auf seine Frau verurteilt wurde.“ Er habe „Berliner Urgestein mit dem Herzen auf dem rechten Fleck“ verkörpert, bescheinigte der Bürgermeister dem Mann, der ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte.

Kommentarvon RALPH BOLLMANN

Der Tod des Idols aus den Fünfzigerjahren spülte noch einmal alles hoch, was sich in 40 Westberliner Jahren an Muff aufgestaut hatte. Die Biographien ähneln sich: „Bubi“ Scholz, der Junge vom Prenzlauer Berg; „Ebi“ Diepgen, der Junge aus dem Wedding. Kleine Mythen vom Aufstieg aus bescheidenen Verhältnissen, die so gut passten zum großen Mythos vom Durchhalten gegen den Feind ringsum. Jene „schweren Stunden“, in denen es darauf ankam, „die Treue zu halten“ – sie gab es nicht nur in der persönlichen Biographie eines Boxers oder Politikers, sondern auch in der politischen Biographie der geteilten Stadt.

Wenn Menschen so eng zusammenrücken, dann beginnt es nicht selten zu stinken. Im Interesse der gemeinsamen Sache dürfen die Beteiligten nicht ganz genau hinsehen. Dann bleibt ein Idol eben ein Idol, auch wenn an der gescheiterten Existenz längst Blut klebt – ganz so, wie auch die politischen Akteure in der Geschichte der Halbstadt den einen oder anderen Skandal durchzustehen hatten.

Daran störte sich kaum jemand, schließlich waren die beweglicheren Geister längst nach Westdeutschland geflüchtet. Unter den Berufsberlinern, die das Bild der Stadt in den Medien prägten, war der Anteil der gescheiterten Existenzen so hoch wie sonst nirgends. Nur in einer Stadt, die zu einem nüchternen Blick auf sich selbst längst nicht mehr fähig war, konnte der Alkoholiker Harald Juhnke zum Volkshelden werden. Und der nüchterne Diepgen hat von dieser Mentalität stets profitiert – bis heute.

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