: Ernsthaft gegen Rechte
■ BVG legt Begründung für Genehmigung von Neonazi-Kundgebung vor
Der 1. Senat des Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe hat gestern die Begründung für die teilweise Aufhebung des Verbots des Neonazisaufmarsches vom vorigen Wochenende in Hamburg vorgelegt. Darin wirft das Gericht der Polizei vor, zwar „plausible Anhaltspunkte“ dafür benannt zu haben, dass es sich um einer „Tarnveranstaltung“ handeln könnte, sich aber nicht hinreichend mit „Gegenindizien“ auseinander gesetzt zu haben.
Bekanntlich hatte der Hamburger Neonaziführer Christian Worch für den vorigen Samstag und Sonntag Aufmärsche der „Freien Nationalisten“ unter dem Motto „Gegen die Lügen und Hetze der Bildzeitung – enteignet Springer“ angemeldet. Die Polizei hatte beide Märsche mit der Begründung verboten, dass es sich – wegen des zeitlichen Zusammenhangs zum 13. Todestags von Hitlerstellvertreter Rudolf Heß – um „Tarnveranstaltungen“ zu diesem Thema handele. Schon in der Vergangenheit seien Aufmärsche unter einem anderen Tenor angemeldet und dann „umgewidmet“ worden.
Zwar schloß das BVG im Eilverfahren nicht aus, dass es sich aufgrund der Erfahrungen tatsächlich um eine „Tarnverstaltung“ handeln könnte, doch dürfe davon „nicht generell“ ausgegangen werden. „Deshalb kann ein Versammungsverbot nur dann ausgeprochen werden“, so BVG-Sprecherin Carola von Paczensky, „wenn die Behörde konkrete, auf diese Versammlung bezogene Indizien der Tarnabsicht hat und unter Berücksichtigung möglicher Gegenindizien begründet, warum diesen kein maßgebendes Gewicht beizumessen ist.“
Geschickterweise hatte Worch in einem Schreiben an seine Kameraden darum gebeten, „von Mei-nungsbekundungen“ zum Heß-Todestag „Abstand zu nehmen“. Die Polizei, so das BVG, hätte die Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung widerlegen müssen. „Diesen Anforderungen sind die Behörden und Fachgerichte (Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht d. Red.) nicht gerecht geworden“, so Paczensky weiter, „sie haben sich mit den Gegenindizien nicht auseinandergesetzt.“ Dass das BVG dann nur eine „stationäre Kundgebung“ und nur für den Sonntag zugelassen hat, lag am prophezeiten „polizeilichem Notstand“.
Kai von Appen
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