: Gekritzel reicht als Beweis
Am Donnerstag beginnt Prozess gegen Kritischen Polizisten Thomas Wüppesahl. Vorwurf: Er habe Akten verschwinden lassen ■ Von Kai von Appen
Wenn ein Polizist Missstände im Apparat aufdeckt und öffentlich anprangert, dann ist ein solcher „Nestbeschmutzer“ auch bereit eine Straftat zu begehen, um somit die Polizei in Misskredit zu bringen. Nach dieser Logik des Landgerichts beginnt am Donnerstag vor dem Amtsgericht Altona der Prozess gegen den Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten (BAG), Thomas Wüppesahl. Dem Wirtschaftskriminalisten (45) wird Diebstahl vorgeworfen.
Dass Vorgesetzte mit ihm nicht gerade zimperlich umgehen, wenn er unhaltbare Zustände aufdeckt, ist Wüppesahl nicht neu. Doch was die internen Ermittler im Fall um den Aktenklau im Dezernat Kfz-Diebstähle Organisierte Kriminalität alles anstellten, um dem Kritischen etwas anzuhängen, setzt allem die Krone auf. Dorthin war Wüppesahl nämlich 1996 strafversetzt worden, nach dem er auf chronische Missstände im Dezernat für Wirtschaftkriminalität aufmerksam gemacht hatte, weswegen manch Weißkragenkrimineller nicht überführt werden konnte.
Aber auch in der neuen Dienststelle LKA 234 an der Stresemannstraße herrschte Chaos: So lagen Ermittlungsakten in Sozialräumen frei zugänglich herum, und es erstaunte eigentlich niemanden, als LKA 234-Leiter Klaus Gneckow im Sommer 1997 plötzlich 72 Fall-Akten als vermisst meldete.
Zunächst geriet Wüppesahls Büro-Kollege in Verdacht, die Bagatell-Akten verschlampt zu haben, die ihm angeblich von Gnec-kow persönlich übergeben worden waren. Doch als Wüppesahl im Februar 1998 dem LKA 234 die Datenschützer auf den Hals schickte, geriet nun er ins Visier des Dezernates Interne Ermittlungen (DIE).
Im August 1998 tauchten in zahlreichen Zeitungsredaktionen – auch bei der taz – plötzlich anonym einige der verschwundenen Akten wieder auf. Anlass für das DIE, im November zur Razzia zu blasen. Büros und Privatdomizile von Wüppesahl und seinem Bürokollegen wurden gefilzt. Ohne Ergebnis.
Mit einem zweifelhaften Schriftgutachten, das Übereinstimmungen von Wüppesahls Handschrift mit dem Gekritzel auf einem der sichergestellten Umschläge erkannt haben wollte, versuchte die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung durchzusetzen. Doch Amtsrichter Siegfried Hübner lehnte den Erlass eines Strafbefehls von neun Monaten Haft auf Bewährung ab. Der „erfahrene Kriminalbeamte“ müsste schon „sehr dumm“ sein, konstatierte Hübner, es einerseits zu vermeiden, „eindeutig zu identifizierende Finger- oder Speichelproben zu hinterlassen, und andererseits den dilletantischen Fehler zu machen, eine analysefähige Schriftprobe zu hinterlassen.“ Außerdem sei der Schriftvergleich wegen des „wattierten Umschlages eingeschränkt“ und die Briefe an einem Tag in Nürnberg aufgegeben worden, als Wüppesahl in Hamburg Dienst hatte.
Landrichterin Gertraut Göring sah das auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft anders: Ihrer Meinung nach habe Wüppsesahl gehofft, dass der Fall Interesse in der Presse findet und er ihn daraufhin „kritisch kommentieren“ könne. Göring: „Ein solches Motiv würde in das Bild des Angeschuldigten als ,Kritischer' Polizist passen.“ Wüppesahls Anmerkung dazu: „Gesinnungsjustiz.“
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