: Du sollst Bücher nicht indizieren
Salomon Korn, Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisiert den Piper Verlag, weil der die deutsche Ausgabe von Norman G. Finkelsteins „The Holocaust Industry“ plant. Doch es geht nicht um eine voreilige politische Befriedung eines Streits, der erst geführt werden sollte
Schlimmer noch als die Forderung Salomons Korns, „The Holocaust Industry“, das zuletzt viel besprochene Buch von Norman G. Finkelstein, solle nicht in deutscher Übersetzung veröffentlicht werden, ist die Gefahr, dass ihm allzu viele Gutgesinnte beipflichten werden. Das Präsidiumsmitglieds des Zentralrats der Juden in Deutschland hätte die Frage der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung vom 31. August nach der Notwendigkeit der deutschen Ausgabe unbedingt mit „Ja, selbstverständlich“ beantworten müssen. Denn was die deutsche Gesellschaft braucht, ist mehr der politische Streit und der offene Schlagabtausch als die voreilige politische Befriedung durch diejenigen, die es besser zu wissen glauben. Diese paternalistische Geste ist obsolet.
Immerhin ist die Frage der Entschädigung seit der von Wirtschaft und Regierung sicher mühsam gebildeten Stiftungsinitiative zur Entschädigung der Zwangsarbeiter ständiges Diskussions- und Nachrichtenthema der deutschen Öffentlichkeit. Und Aufklärung machte dabei einen guten Teil der Medienberichterstattung aus. Daher darf man annehmen, dass die mehr durch ihren polemischen Ton gekennzeichneten als durch starke Argumente belegten Vorwürfe Finkelsteins an jüdische Organisationen und ihre Funktionäre in den USA hier durchaus als die Schwäche und das Versagen seines Buches erkannt werden. Dass die Zahl der zu entschädigenden jüdischen Überlebenden problematisch ist, heißt auch in Deutschland nicht, dass Finkelsteins Zahl von gerade mal 20.000 richtig wäre. Zumal er sie nicht weiter im Kontext jener Überlegungen diskutiert, die die Zahl der KZ-Überlebenden nun um die Zahl derjenigen ergänzt, die Zwangsarbeit in den Arbeitslagern von Firmen, in Ghettos und in ausgebombten Städten geleistet haben.
Nicht minder schwach als Finkelsteins polemische Unterstellungen ist die Annahme Korns, der Piper Verlag, der die deutsche Übersetzung von Finkelsteins Buch besorgen will, spekuliere darauf, dass die deutsche Öffentlichkeit die Juden endlich mal nicht nur in der Opferrolle, sondern auch in der Täterrolle sehen möchte. Wenn es in Deutschland eine besondere Affinität zu Finkelsteins Thesen geben sollte – wofür nach den bislang in der hiesigen Presse veröffentlichten Rezensionen und Debatten wenig spricht –, dann liegt sie darin, dass hier das amerikanische Lobbykonzept leider so wenig verstanden wird, wie es von Finkelstein (der es sehr wohl versteht) akzeptiert wird. Hier könnte das Präsidiumsmitglied Salomon Korn aufklären.
Denn nichts ist falsch daran, dass es eine starke jüdische Lobby in den Vereinigten Staaten gibt, die sich weniger für die eine und einzig richtige Wahrheit als vernünftigerweise für die Interessen ihrer Klientel einsetzt. Das ist ihre Aufgabe in der politischen Arena, und das politische Rollenspiel der Lobbyisten hat mit der Verschwörung einer Holocaust-Industrie nichts zu tun. Wenn über die jüdische Lobby und ihr Verhalten trotzdem gestritten wird, ist das politisch nur folgerichtig. Dass von ihr in der Entschädigungsfrage „moralisches und politisches Kapital gedankenlos verspielt wurde“, schreibt nun etwa auch der Herausgeber des jüdischen Monatsmagazins Commentary, Gabriel Schoenfeld, in der Septemberausgabe. Schoenfeld, der nicht als linker Dissident und Antizionist gebrandmarkt werden kann wie Finkelstein, argumentiert denn auch, dass im ruppigen Umgang mit der Schweiz, Deutschland und Holland unklugerweise Länder gedemütigt wurden, die zu den zuverlässigsten Stützen Israels gehören. So schaut ein politischer Diskurs aus. Nicht Bücher indizieren, sondern die Fragen diskutieren ist demokratisch, liberal und zivilisiert. BRIGITTE WERNEBURG
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