piwik no script img

„Demokratie lernen“

Interview BASCHA MIKA

taz: Bundeskanzler Schröder ist zwei Wochen durch die Ostländer getourt. Hat er Sie besucht, Frau Kahane?

Anetta Kahane: Nein.

Hätten Sie sich das denn gewünscht?

Ich brauche den Segen des Kanzlers nicht. Aber für die Leute, die sich in den neuen Ländern gegen Rechtsextremismus engagieren, wäre sein Besuch sicher eine Ermunterung gewesen. Da werden Aussiedlerfamilien nachts in ihren eigenen Wohnungen terrorisiert. Da werden Menschen derartig eingeschüchtert, dass sie die Stadt verlassen. Die Behörden reagieren darauf ziemlich herzlos und geben kaum Unterstützung. Und diejenigen, die sich um diese Opfer kümmern, die hätte er besuchen müssen, denn die haben es wirklich schwer. Und das ausgerechnet in Deutschland, dem Land des Holocaust.

Wie hätte sie Schröder denn unterstützen können?

Schon indem er sich mit ihnen zeigt. Denn die Leute, die sich für Menschenrechte einsetzten, werden in ihrer Umgebung oft als Nestbeschmutzer beschimpft. Dabei versuchen sie, die Demokratie zu schützen, unter anderem, damit Schröder Kanzler sein kann. Deshalb sollte er sich mit denen solidarisieren, die versuchen, das demokratische System, an dem er partizipiert, zu erhalten. Sein Job ist die Politik, deshalb sollte er sich neben Gesten und Symbolik um eine klare anerkennende Politik gegenüber Themen wie Flucht, Migration und Menschenrechte einsetzen.

Immerhin hat Schröder doch kurz vor Reiseantritt versprochen, sich auch dem Rechtsextremismus in den neuen Ländern zu widmen, und verkündet: Die Pest des Rechtsradikalismus muss weg!

. . . als wäre es eine Krankheit, die man mit einem Antibiotikum behandeln kann. Sicherlich kann man den Rechtsextremismus auch so beschreiben. Aber die Frage ist doch, was dahinter liegt, was Menschen anfällig macht für diese Pest und was in den letzten Jahrzehnten in diesem Land passiert ist. Und zwar nicht nur im Osten. Und dann muss man schon ein bisschen ernsthafter darüber nachdenken und kann nicht nur kurz am Krankenbett erscheinen und hoffen, das Problem mit einem Aspirin oder einer kleinen Operation wegzukriegen.

Mit Ihrer Amadeu Antonio Stiftung wollen Sie Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur in Ostdeutschland fördern. Wie lehrt und lernt man denn Zivilcourage?

Ich spreche lieber von Demokratielernen. Sowohl im Westen wie im Osten hört man, dass Demokratie etwas mit Parteien und Parlamenten zu tun hat. Aber Demokratie ist zuallererst die Würde und Gleichwertigkeit aller Menschen. Das ist der Ansatzpunkt für das Thema demokratische Kultur. Die muss schon im Kindergarten gefördert werden. Denn es ist genauso wenig Teil des menschlichen Wesens, demokratisch zu sein, wie es nicht Teil des menschlichen Wesens ist, Rassist zu sein. Demokratische Kultur muss man lernen und einüben.

Aber zurzeit scheinen doch alle Instanzen, die für demokratische Erziehung zuständig sind – Elternhäuser, Schulen – zu versagen.

Schule ist besonders hartnäckig und hartleibig, was Veränderungen angeht. Wichtig ist, dass es im Stundenplan nicht nur eine Stunde Demokratieerziehung gibt, sondern dass das gesamte Klima in der Schule stimmt. Dass Erwachsene und Kinder zivil miteinander umgehen, dass Lehrer nicht rumbrüllen und eine aggressive Stimmung fördern, dass niemand wegguckt, wenn es Probleme gibt. Es geht um eine Kultur der Anerkennung und des Sichkümmerns.

Die muss es doch auch jenseits des Schulzauns geben?

Natürlich. Man muss so etwas wie ein System schaffen zwischen Jugendarbeit, Schule und Nachbarschaft.

Die offene Jugendarbeit versucht, das Problem anders anzugehen und den Jugendlichen Freiräume zu schaffen.

Offene Jugendarbeit ist Quatsch. Sie ist eine Lebenslüge der Sozialarbeit und hat schon im Westen nicht funktioniert. Grundidee dieses Ansatzes ist, dass Jugendliche mal so richtig abhängen können. Dass niemand zu irgendetwas gezwungen wird. Und wenn ein Jugendlicher rechte Tendenzen zeigt, muss man ihn als Menschen verstehen. Der Sozialarbeiter soll dabei als Vorbild fungieren und ihn in den Schoß der demokratischen Gesellschaft zurückführen. Das kann im Osten schon deshalb nicht funktionieren, weil weder der Sozialarbeiter noch die Jugendlichen, noch irgend wer die Demokratie repräsentiert, in die der Jugendliche zurückgeführt werden kann.

Harte Worte. Hat das auch etwas mit Ihrer Erfahrung zu tun?

Und ob! Nehmen wir mal das Beispiel einer Kommune, in der sich eine rechte Szene tummelt. Die ist ja nur ein Symptom dafür, dass in der Kommune etwas nicht stimmt. Der Bürgermeister einer solchen Stadt sorgt vielleicht dafür, dass sich der Sozialarbeiter X um dieses Demokratiedefizit kümmert, aber der Sozialarbeiter X ist – wie wir es oft erleben – ein arbeitsloser Hausmeister, ein ehemaliger Matrose oder sonst jemand ohne spezifische Ausbildung. In dieser Person kulminieren dann die demokratischen Anstrengungen einer Kommune, während die sich darum kümmern kann, Bürgersteige zu bauen oder sich ein Blasorchester zu halten.

Was würden Sie dem Bürgermeister stattdessen raten?

Inhaltliche Arbeit zu machen und ein Konzept für Demokratieentwicklung zu erstellen. Und zwar für die gesamte Kommune. Sich beraten zu lassen und den Jugendlichen Grenzen zu setzen. Den Jugendlichen deutlich zu sagen, dass man weder rechtes Gedankengut noch rechte Symbolik duldet. Mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die mit den gleichen Jugendlichen zu tun haben: mit der Schule, den Eltern, auch mit der Polizei. Insgesamt kann man Jugendlichen attraktive Angebote machen, an denen sie sich unter klaren Bedingungen und Auflagen beteiligen können. Wir haben zum Beispiel gute Erfahrung mit professionell geführten Geschichtswerkstätten gemacht, die sich systematisch mit Lokalgeschichte und Neofaschismus beschäftigen.

Sie glauben im Ernst, dass ein Rechter lieber Geschichte im Jugendclub lernt, als sich mit Freunden an der Straßenecke zu treffen, um andere Jugendliche zu terrorisieren?

Es gibt Leute, die für den Frieden im öffentlichen Raum sorgen müssen. Die nennt man Polizei. Wo Terror auf der Straße passiert, muss die Polizei präsent sein. Terror darf man nicht einfach dulden. Viel komplizierter wird es, wenn Rechte selbst zu Pächtern von Lokalen und Kneipen werden und sich dann dort mit ihren Leuten treffen. Da ist es sehr viel schwieriger, einzugreifen.

Erledigt sich das Problem, wie manche Jugendforscher behaupten, nicht einfach von selbst, wenn solche Jugendliche die erste feste Freundin haben und eine Familie gründen? Auch wenn sie dadurch sicher keine lupenreinen Demokraten werden.

Das ist in der Familienforschung umstritten. Denn autoritäre Haltungen und eine Disposition zur Gewalt können auch in die Familie übergehen. Die jungen Männer sind dann zwar raus aus der täglichen Szene und dem Kampftrinken, aber ihr autoritäres Gehabe übertragen sie dann auf die Beziehung zur Frau und den Kindern.

Sie schreiben einen Jugendlichen, der einmal in die rechte Szene abgerutscht ist, wohl sehr schnell ab?

Nein. Natürlich gibt es Sozialisationsinstanzen wie Schule und Jugendarbeit. Die muss man nutzen. Ich glaube, dass man darüber klimatisch sehr wohl für die einzelnen Jugendlichen und ihr Umfeld etwas ändern kann. Aber wenn ein Umfeld so ist, dass es sich nicht lohnt, seine rechte Einstellung zu ändern, dann ändert er sich auch nicht. Ein Sozialarbeiter, der sagt: „Meine armen Glatzen, die sind ja bloß arbeitslos und die hören nicht auf mich, wenn ich sage, sie sollen nicht rechts sein“, bietet sicherlich keinen Anreiz zur Veränderung.

Wen haben Sie denn als die Hauptschuldigen ausgemacht? Wer verantwortet das Klima, das Rechtsradikale unterstützt?

Verantwortlich sind alle, die auf populistische Themen setzen und ein völkisches Klima bedienen. Dabei wird mir die Wechselwirkung zwischen der großen Politik und dem, was in den Kommunen passiert, immer deutlicher. Bisher sieht der Normalfall in vielen Kommunen doch so aus: Sie bestreiten, eine rechte Szene zu haben, obwohl kurz geschorene Jugendliche ständig Ausländer anpöbeln. Sie möchten den Asylbewerbern am liebsten verordnen, in ihrem Heim zu bleiben, sind gleichgültig gegenüber den potenziellen Opfern und haben einen abwehrenden Blick gegenüber allen, die politisch anders denken. In diesen Orten bekommen nicht die Rechten Druck, sondern diejenigen, die sich engagieren. Wenn das ganze kommunale Leben so ausgerichtet ist, kann sich ein Jugendlicher nicht ändern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen