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Dämonen im biederen Alltag

Der Ideen-Mann: Der Filmautor Curt Siodmak war fasziniert von Persönlichkeitwechseln, Technik-Visionen und Kontrollverlusten. In Hollywood schrieb er die Plots für billige Horrorfilme. Ein Nachruf

von NORBERT GROB

36 Drehbücher hat er geschrieben, für 14 Filme die Story entwickelt, fünf Filme selbst inszeniert – obwohl, wie er selbst bekannte, Filmemachen nicht „die Obsession seines Lebens“ gewesen sei. Siodmak sah sich selbst eher als „Ideen-Mann“: Kunst, so seine Devise, „wird durch den Einfall ihres Urhebers geschaffen und nicht von den Arbeitern, die nötig sind, um diesen Einfall zu verwirklichen“. Im Film, so erklärte er einmal, sei es „der zugrunde liegende Einfall“, der zähle. „Der Pfeiler, der das sichtbare Bild trägt, heißt Imagination.“ Das eigene Talent sah er „im Erfinden von Plots“. Bei den meisten Filmen sei er deshalb auch für den „Rohbau“ zuständig gewesen, für die „Konstruktion der Story“, den „Zellkern des Werkes“.

Geboren wurde er als Kurt Siodmak am 10. August 1902 in Dresden. Sein Vater war Kaufmann, sein älterer Bruder der Filmregisseur Robert Siodmak. Nach dem Abitur: Studium der Mathematik und Physik in Dresden, Berlin und Stuttgart, das er 1930 in Zürich abschloss. Zuvor, 1924, publizierte er in der Illustrierten Das Magazin seine erste Erzählung, danach Geschichten und Erzählungen für Die Woche und für das Berliner 8 Uhr-Abendblatt. 1929 erschien sein erster Roman, und 1929/1930 schuf er – zusammen mit seinem Bruder Robert, mit Eugen Schüfftan, Edgar G. Ulmer, Billy Wilder und Fred Zinnemann – den poetisch-realistischen Film „Menschen am Sonntag“. 1932 wurde sein Roman „F.P. 1 antwortet nicht“ von Karl Hartl verfilmt; womit er sich auch international einen Namen machte. Ende März 1933 floh er vor den Nazis in die Schweiz, danach nach Frankreich und England. 1937 emigrierte er in die USA, wo er von der Paramount einen Vertrag erhielt: als Autor für 350 Dollar die Woche.

Schon in jungen Jahren, so bekannte er in seiner zweiteiligen Autobiographie „Unter Wolfsmenschen“, habe er seine Ängste dem Papier anvertraut und sich in eine „Scheinwelt“ zurückgezogen, die ihm echter schien als die Realität. „Schreiben ist Katharsis, Reinigung, ein Aufräumen unter geistigem Müll, der auf dem Lebensweg zurückblieb.“ Immer wieder zerfiel vieles in seinen Geschichten, zersetzte sich, brach auseinander. Da verwandeln sich einige äußerlich, werden Wolf oder Gorilla oder machen sich unsichtbar. Andere transformieren ihr Innerstes: Ein biederer Literaturlehrer wird zum Gangster („Black Friday), ein obsessiver Forscher zum brutalen business man („Donovan’s Brain“), ein junger Wissenschaftler zu einem Rechercheur längst vergangener Ereignisse („Hauser's Memory“). In den biedersten Alltag dringt Dämonisches, in die allseits akzeptierte Realität Phantastisches. Hungrige Krokodile, bissige Wölfe, hasardierende Gorillas, Zombies mit ferngesteuerten Gehirnen und blutrünstige Fledermäuse – all diese seltsamen Wesen, von denen es in Siodmaks Universum nur so wimmelt, sind selbstverständlich nicht nur Gestalten seiner Alpträume, sie sind „symbolische Verkörperungen realer Vorstellungen und Ängste“. Siodmak stand da in der Tradition alter Märchenerzähler.

In seinen Geschichten findet man viele Hinweise auf das eigene Leben wie auch Anspielungen auf die Wirren der Zeit. Das Motiv der rivalisierenden Brüder hat zweifellos mit seiner ewigen Hassliebe zu Robert zu tun, den er bewunderte und beneidete. Die vielen Metamorphosen von Menschen in wilde Tiere weisen sicher auch auf konkrete Erfahrungen mit den Faschisten. Und die Wissenschaftler, die nicht beherrschen, was sie experimentell herstellen, zeugen von skeptischer Sicht auf die Resultate der wissenschaftlichen Szene im Deutschland der Dreißiger- und in den USA der Vierzigerjahre.

Im Zentrum stand bei ihm ohne Zweifel: die Faszination paralleler Welten, das Interesse für die Dinge unter der Oberfläche, die Essenz unter Kontur und Lack. Bei Curt Siodmak müssen die Menschen sich maskieren oder verstellen, ihre Persönlichkeit ändern oder gar wechseln, um am Ende wenigstens einen Zipfel zu erhaschen von dem, was sie im Innersten bewegt und treibt. Sie sind Fremde in sich selbst, das zwingt sie draußen in der Welt zu Vorsicht und List.

Siodmak schrieb über Menschen, die auf dem Weg zu sich selbst immer wieder ins Stolpern kommen. Manchmal zwingt sie das, etwas zu tun, was sie gar nicht wollen; manchmal finden sie aber gerade dadurch erst, was sie schon immer erträumten. Es sind Wintergeschichten, von Menschen, die oft einen etwas zu dünnen Mantel tragen und dann verwundert feststellen, dass sie frieren. Ihre Anstrengungen zu erreichen, was sie ersehnen, haben gelegentlich absurde Folgen. In „Donavan's Brain“ gerät ein Wissenschaftler, der ein Gehirn untersucht, um dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen, völlig unter die Kontrolle des Organs, das, in einer Lauge liegend, von einer Elektropumpe am Leben erhalten wird. „Das Hirn, selbst körperlos, gebraucht mit meiner Zustimmung meinen Körper, um sich unabhängig zu machen – obwohl es stumm, dumpf und taub ist.“ Vorgänge, die außer Kontrolle geraten und sich verselbständigen – das war eines seiner zentralen Themen. Seine Helden müssen oft Umwege in Kauf nehmen, die sich am Ende als Einbahnstraßen herausstellen. Sie planen, organisieren, taktieren – und lassen dann doch nur einen Scherbenhaufen zurück. Höhepunkt von Siodmaks Vorliebe für Maskeraden und Metamorphosen waren die billigen Horrorfilme, die er Anfang der Vierziger für George Waggner bei Universal, für George Sherman bei Republic und für Val Lewton bei RKO geschrieben hat, von „The Wolf Man“ bis „I Walked With a Zombie.“

Eine weitere Seite in Siodmaks Büchern und Filmen: sein Interesse für technische Entwicklungen, wissenschaftliche Entdeckungen, visionäres Knowhow. In „F.P. 1 antwortet nicht“ geht es um eine Flug-Plattform mitten im Atlantik, die es gestattet, neuen Treibstoff aufzunehmen und so die Verbindung zwischen den Kontinenten zu normalisieren. In „Non Stop New York“ steht ein Flugzeug im Zentrum, das konstruiert ist wie ein Ozeandampfer – mit kleinen Kabinen, einem Speisesaal, einer Bar und einem Außendeck, auf dem die Passagiere sich den Wind um die Ohren wehen lassen können. In „The Tunnel“ träumt ein Ingenieur von einer direkten Verbindung zwischen England und den USA, um die Beziehungen zwischen den englischsprachigen Menschen zu intensivieren. Dafür gräbt er seine Maschinen am Ende sogar durch einen hitzigen Vulkan. Siodmak bekannte stets, er sei von Anfang an fasziniert gewesen „von Ideen, die die Zukunft so, wie ich sie mir ausmalte, vorwegnahmen.“ Also ließ er seinem „Ausmalen“ freien Raum, spann und träumte herum, schwärmte, phantasierte, dichtete. Nichts war ihm zu abwegig, wenn er die Idee dafür hatte, wie das Ganze in einen realistischen, das heißt vorstellbaren Rahmen zu integrieren war.

Stolz war er noch 1998, als er mich zu einem Glas Wein in sein Berliner Hotel einlud, auf die bewegliche Fluginsel in F.P. 1, auf seine „Vision der Gentechnik“ in „The Magnetic Monster“, „zehn Jahre bevor die Biochemie den Aufbau der DNS gekannt hatte“, und auf seine Gedanken zum Leben im Weltraum: dem Hotel im All in seinem Roman „Skyport“ und der Stadt im All in „City in the Sky“, die später in James Bonds „Moonraker“ eingearbeitet wurde.

Ein Freund, so erzählte Siodmak, habe ihm einmal erklärt, er schreibe über Leute, die den Berggipfel bezwingen wollten, aber nie oben ankämen. Ich finde, er schreibt eher über Leute, die auf eine Reise gehen, dabei eine unbekannte Seite in sich entdecken – und so die Reise selbst zu ihrem Ziel machen. Die einzige Devise, die zählt, lautet: „Das Leben ist ein Puzzle aus Kompromissen.“ Am Samstag ist Curt Siodmak im Alter von 98 Jahren in Kalifornien gestorben.

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