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Erst eingebuchtet, dann vergessen warum

■ Polizist muss 2.000 Mark zahlen, weil er grundlos einen Afrikaner festgenommen hat / Undokumentierte Festnahmen waren damals gängige Praxis in Bremen

Volker K. ist Polizist. Wahrscheinlich ein guter Polizist. Der schlaksige junge Mann wirkt beherrscht, bleibt auch bei harten Vorwürfen ruhig und sachlich. Der 30-Jährige wirkt nicht besonders vergesslich. Aber was am 24. April 1998 geschah, weiß er nicht mehr.

Anders geht es Michel A. Er wird diesen Tag nicht vergessen und weiß noch jedes Detail. Der Togoer war in der Flüchtlingsinitiative in der Friesenstraße gewesen, zur Asyl-Beratung. Als er mit der Straßenbahn zu seinem Deutschkurs fahren will, hält ihm an der Haltestelle Brunnenstraße jemand die Hand auf den Mund. Angesichts von zwei Uniformen, lässt er zu, dass Volker K. seinen Mund öffnet und inspiziert. Doch damit nicht genug: Nach Überprüfung seiner Papiere nehmen ihn die beiden Beamten mit auf die Wache Sandstraße. Als er nach dem Grund fragt, müssen die Beamten lachen: „Weil es hier Schwarze gibt, die Drogen verkaufen.“

Auf der Wache muss der damals 28-Jährige sich nackt ausziehen und nach vorn beugen. Doch weder in Körperöffnungen noch in seiner Kleidung finden die Polizisten Drogen. „Das war sehr entwürdigend für mich“, sagt Michel A. Nach einer Stunde verlässt er zitternd die Wache. Weil er so etwas nie wieder erleben will, zeigt er die Polizei an. Die Ermittler von der Innenrevision fragen in drei Innenstadt-Wachen nach, aber den Namen Michel A. will niemand finden – auch in der Sandstraße nicht. Erst als der Betroffene die genaue Wache nennen kann, findet sich sein Name im zweiten Anlauf im „Gewahrsamsbuch“.

Dem Gedächtnis von Volker K. hilft der Eintrag allerdings nicht auf die Sprünge: Ein Grund für die Festnahme ist nicht vermerkt. In der der Vernehmung nach sechs Wochen können sich die beiden Beamten an nichts erinnern. „Und wo ist der Tathergangsbericht?“ will der Richter wissen, „So was müssen Sie doch schreiben, wenn Sie Strafverfolgungsmaßnahmen einleiten.“ Ist aber nicht passiert. „Das war damals völlig normal“, sagt Volker K., „wir hatten ja nichts gefunden“. Selbst nach seiner ersten Vernehmung konnte er sich daher nicht vorstellen, dass er wegen der Angelegenheit belangt würde.

Erst aufgrund der Ermittlungen gegen die beiden Polizisten führte die Polizei mittlerweile ein neues Formular ein, in dem der Grund für eine Überprüfung angegeben werden muss. Eine Kopie davon geht an die Staatsanwaltschaft. Die wollte die Ermittlungen gegen die beiden Polizisten zunächst einstellen. Erst auf Beschwerde von Michel A. ordnete der Generalstaatsanwalt die Anklage-Erhebung an. Dort sollte nun geklärt werden, ob es einen triftigen Grund für die Festnahme gab, oder Michel A. nur aufgrund seiner Hautfarbe verdächtigt wurde.

Der Angeklagte konnte dazu nur Vermutungen beitragen wie „ich werde sicherlich nicht willkürlich Personen herauspicken“ oder „vielleicht hatten wir einen Tipp aus der Bevölkerung“. Immerhin hielt ihm der Richter zugute, dass er zu seinen Gedächtnislücken stand. Er hätte sich auch an die Version seines Kollegen anhängen können, dessen Verfahren vor einem Jugendgericht stattfinden wird: Der will nach zwei Jahren eine Notiz über den Vorfall wiedergefunden haben und sagt nun, ein Junkie habe Michel A. als Drogenhändler denunziert.

Volker K. wurde gestern nicht wegen Freiheitsberaubung verurteilt. Der Richter hatte die Einstellung des Verfahrens gegen eine Zahlung von 2.000 Mark angeboten – zahlbar je zur Hälfte an das Opfer und an die Flüchtlingsinitiative. Nach einem langen Blick zu den Kollegen im Zuschauerraum stimmte der angeklagte Polizist schließlich zu. Vorher hatte er noch betont, dass er sich unschuldig fühle und vor negativen Konsequenzen für die „polizeiliche Leistung“ gewarnt. Folgerichtig gab es auch keine Entschuldigung an Michel A. Der war dennoch zufrieden, „dass die Justiz am Ende positiv reagiert hat“. Dem Polizisten wünscht er „nicht zu viele Probleme“.

jank

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