: „Über das Erträgliche hinaus“
Julius H. Schoeps, Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Wien und mittlerweile Leiter des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, zu Norman G. Finkelsteins Buch „The Holocaust Industry“
Interview ELKE BIESEL
taz: Herr Professor Schoeps, welches war ihr erster Eindruck nach der Lektüre von Norman Finkelsteins Buch „The Holocaust Industry“?
Schoeps: Zunächst muss man anmerken, dass dieses Buch für die Vereinigten Staaten geschrieben worden ist und sich in eine Debatte dort einmischt, eine Debatte im jüdischen Milieu. Finkelstein formuliert seine Thesen sehr scharf, und man gewinnt den Eindruck, dass er es angelegt hat auf einen Skandal. Das Problem aus deutscher Sicht ist aber ein anderes, hier gibt es einen völlig anderen Diskurs als in den USA und deshalb kann das Buch eine Reihe von Missverständnissen auslösen.
Welche?
Ein Beispiel ist die Nationalzeitung. Sie hat einige Thesen des Buches bereits mit viel Häme aufgegriffen, denn sie sieht in Finkelstein jemanden, der bestimmte Vorurteile, die man schon immer geäußert hat, auch noch von jüdischer Seite aus bestätigt.
Finkelstein schreibt eine Polemik, aber er schreibt sie als Politologe. Wie schätzen sie den wissenschaftlichen Wert des Buches ein?
Von den Inhalten her präsentiert er nichts sensationell Neues. Dass jüdische Institutionen den Holocaust bewusst instrumentalisiert haben – aus den unterschiedlichsten Gründen – bis hin zu einer Legitimation ihres Handelns, das ist doch ein alter Hut. Und wenn Hollywood Filme dreht wie „Schindlers Liste“ oder die „Holocaust“-Serie, dann bedient es natürlich eine bestimmte Erwartungshaltung und einen Markt. Aber aus meiner Sicht sind solche Annäherungen an das Thema ganz verdienstvoll, denn sie bieten Aufklärung, auch wenn sie es in einer Hollywood-Ästhetik tun. All dies mit Angriffen zu überziehen, wie es Finkelstein tut, halte ich für falsch.
Finkelstein kreiert den Begriff „Holocaust-Industrie“ für all jene jüdischen Organisationen und Personen, die nach seiner Einschätzung die Shoa „ausbeuten“.
Diese Wortschöpfung halte ich für problematisch. Man hat schon immer von „Shoa-Business“ gesprochen, aber das Wort „Industrie“ geht einen entscheidenden Schritt weiter. Um es einmal böse zu formulieren: Es spielt an auf die Nazi-Zeit, in der es eine Vernichtungsindustrie gegeben hat. Das geht über das Erträgliche hinaus. Hinzu kommt, dass Finkelstein offenbar tatsächlich in den Kategorien einer Verschwörung denkt. Er stellt zum Beispiel einen Zusammenhang her zwischen dem Nahostkrieg 1967 und dem Entstehen einer so genannten Holocaust-Industrie. Das halte ich für aberwitzig. Auch sein Umgang mit dem Thema Zwangsarbeiter-Verhandlungen zeigt, dass er manchmal die Wirklichkeit verzerrt. Andererseits – und das macht die Provokation ja aus – ist ein Kern Wahrheit vorhanden.
Worin liegt dieser Kern?
In den letzten Jahren ist die Shoa – vor allem in den USA – tatsächlich identitätsstiftend geworden. Nehmen sie all diese Einrichtungen von „Holocaust Studies“ und Holocaust-Lehrstühlen, das sind eigenartige Einrichtungen. In Deutschland gibt es das nicht.
Gibt es in Deutschland auch ein „Geschäft“ mit dem Holocaust?
Ja, aber hier ist es kein jüdisches, sondern ein deutsches Identitätsproblem. Es ist das Problem der Deutschen mit ihrer Geschichte. Wie der Historiker Dan Diner mal gesagt hat: Auschwitz stellt einen Zivilisationsbruch dar, und es herrscht ein dumpfes Ahnen, dass auch die nächsten Jahrzehnte damit belastet sein könnten. Man kann heute Goethe und Schiller – um es noch einmal etwas anders zu formulieren – nicht mehr so lesen wie vor 1933. Das ist das eigentliche Problem.
Welchen Wert kann Finkelsteins Buch für die Debatte über den Holocaust haben?
Im Gegensatz zu Daniel Goldhagen, der mit seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ eine grundlegende Diskussion angestoßen hat – es ging um die Frage, haben die Deutschen alle mitgemacht –, kann ich hier nicht erkennen, was der Autor eigentlich bezweckt. Er will offenbar ein Tabu aufbrechen, das gar keines mehr ist. Man weiß, dass viele Juden die Erfahrung der Shoa als ein quasi religionsstiftendes Moment ansehen. Darauf kann er doch nicht hinauswollen. Sein Ziel liegt, glaube ich, ganz woanders. Er ist Politologe und hat schon einige Bücher über den Nahostkonflikt publiziert, das scheint sein Anliegen zu sein.
Können Sie das erklären?
Er scheint der Ansicht zu sein, dass die Unterstützung der USA für Israel herbeigezwungen worden ist durch das, was er Holocaust-Industrie nennt.
Wie erleben Sie die deutsche Rezeption des Buches?
Erstaunlich ist, dass sich in Deutschland vor allem Juden an der Diskussion in den Medien beteiligen und befragt werden. Das war in der Goldhagen-Debatte anders. Warum? Die einen haben jetzt möglicherweise Angst, gegen die politische Korrektheit zu verstoßen, aber bei vielen ist es wohl auch eine klammheimliche Freude darüber, dass hier Juden aufeinander losgehen.
Karl Brozik von der Jewish Claims Conference hat Finkelstein vorgeworfen, er schüre mit seinen Thesen den Antisemitismus.
Schüren oder nicht, das ist relativ gleichgültig. Der Antisemitismus ist vorhanden. Ich halte es für problematisch, so ein Buch in Deutschland zu veröffentlichen, aber Finkelstein hat es ja nicht für Deutschland geschrieben. Mein Vorwurf gilt dem Piper Verlag, der sich für die Publikation in deutscher Sprache hergibt – aus Sensationsgier und dem Wunsch, Geld zu machen.
Finkelsteins Gedanken sind in der Welt. Ist es da nicht eine ganz normale Entwicklung?
Schon, es ist die Reaktion auf den Markt. Finkelstein gehört ja letztlich auch zur Holocaust-Industrie, er ist integraler Bestandteil dessen, was er verurteilt. Das macht die Sache so bizarr. Er fängt sich in seiner eigenen Falle.
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