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Extreme Zustände

■ Ein Interview mit Regisseur Jan Schütte, dessen Brecht-Film „Abschied“ keine Jubiläumsveranstaltung sein will und ab heute im Abaton läuft

Jan Schütte wurde bekannt mit Filmen wie Drachenfutter, Auf Wiedersehen Amerika und Fette Welt, die national und international ausgezeichnet wurden. Sein Film Abschied über den letzten Tag des Dichters Bertolt Brecht wurde in Cannes in einer Nebensektion aufgeführt und von der deutschen Kritik zwiespältig aufgenommen. Am 7. September hatte der Film im ehemaligen Brecht-Theater des „Berliner Ensemble“ Deutschland-Premiere, heute läuft er offiziell an.

taz hamburg: Mögen Sie Brecht?

Jan Schütte: Ich mag seine Lyrik. Ich finde, er ist ein grandioser Autor. Als Person hatte er sehr zwiespältige, ambivalente Facetten, wie alle großen, faszinierenden Persönlichkeiten, wenn man genau hinschaut. Mein Film sollte weder eine Götterverehrung sein, noch eine Zerstörung, die immer nur die Kehrseite der Verehrung ist. Ich wollte ein Porträt in Augenhöhe.

Die Verhaftung des Philosophen Wolfgang Harich schon am letzten Tag Brechts in Buckow ist eine Erfindung (Harich wurde erst nach dem Ungarn-Aufstand verhaftet, als Brecht bereits tot war). Wie Helene Weigel als einzige von der Verhaftung durch die Stasi weiß, wird sie im Film zur Komplizin. Warum?

Helene Weigel ist in einer völlig ausweglosen Situation. Was immer sie macht, ist eigentlich falsch. Wenn sie versuchen würde, etwas gegen die Verhaftung zu unternehmen, könnte Brecht auf Grund seines angegeriffenen Herzens sterben. Dieser Zwiespalt hat mich interessiert. Denn ihr Leben in der DDR war auch so. Nach außen hin vertrat sie ihre Prinzipien, trotzdem war sie eine komplexe Figur, die auch viele Leute geschützt hat. Wir wollten die Sprengkaft der Zeit zeigen. Nur die Idylle wär langweilig gewesen.

Was halten Sie von diesem Versuch Brechts, mit mehreren Frauen zusammenzuleben?

Für mich zeigt der Film, dass es eigentlich unmöglich ist, so zu leben. All die Utopien und Versuche, die man in der Richtung gemacht hat, sind zum Scheitern verurteilt, wie wir ja auch in den 60er- und 70er-Jahren so mitbekommen haben. Gleichzeitig waren Brecht und seine Frauen auch sehr frei und nicht prüde, aber das Modell ist weder lebbar noch nachahmenswert. Aber das spannende am Film ist ja, das Untersuchen von extremen Zuständen.

Wie kam es zu diesem Film, immerhin zwei Jahre nach dem Brecht-Jahr?

Ich bin zu diesem Projekt dazugeholt worden. Wir wollten es ganz bewusst nicht im Brecht-Jahr machen. Es war mir wichtig, dass das keine Jubiläumsveranstaltung wird.

Einige der Figuren im Film leben ja noch heute, wie Barbara Brecht, Käthe Reichel, Manfred Weckwerth und Peter Palitzsch. Wie haben sie auf dieses Projekt reagiert?

Barbara Schall-Brecht ist sicherlich nicht begeistert, wenn man einen Film über Brecht macht, der unautorisiert ist. Aber es ist wichtig, dass man über Brecht weiter nachdenkt und auch Filme über diese öffentliche Person macht.

Der Film wurde in Cannes uraufgeführt. Wie waren die Reaktionen?

Es war ganz toll, eine der schöns-ten Vorführungen in meinem Leben. Der Film ist auch in der ganzen Welt auf Festivals eingeladen und wird in vielen Ländern im Kino herausgebracht.

Es gibt ja zahllose Brecht-Experten. Freuen Sie sich schon auf die Auseinandersetzung mit ihnen?

Ja. Ich bin ja auch Germanist. Das ist mein Brecht. Meine Variante. Die steht jetzt einfach so da. Alles was sonst noch passiert, werden wir ja sehen.

Interview: Jörg Taszman

Do - So, Di, 17, 19 und 21 Uhr; Mo und Mi 19 und 21 Uhr, Abaton; außerdem Schulvorstellungen, Anmeldung: Tel. 41 32 03 30

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