piwik no script img

Freie Fahrt für 60 Tage

Das Beispiel Großbritannien: Blockaden werden geräumt

von RALF SOTSCHECK

Der Protest gegen die hohen Benzinpreise in Großbritannien ist zu Ende. In der Nacht zum Donnerstag haben die Spediteure, Bauern und Taxifahrer die Blockaden der Raffinerien und Benzindepots aufgehoben. Brynle Williams, der Sprecher der Demonstranten in Stanlow bei Liverpool, wo die Aktionen vor acht Tagen begannen, sagte gestern: „Wir haben unseren Standpunkt deutlich gemacht, und die Bevölkerung unterstützte uns dabei hundertprozentig. Wir beenden unseren Protest, damit den Menschen kein Schaden entsteht.“

Williams fügte jedoch hinzu, dass die Regierung innerhalb der nächsten 60 Tage die Benzinsteuer senken müsse, sonst würden die Blockaden von Neuem beginnen. Er forderte sofortige Verhandlungen mit dem Transportministerium. Abgeordnete aller Parteien empfahlen Schatzkanzler Gordon Brown, eine Senkung der Benzinsteuer in seinem vorläufigen Haushaltsplan im November anzukündigen. Brown antwortete, er werde die Meinung der Bevölkerung in Betracht ziehen, eine umgehende Steuersenkung schloss er jedoch aus: „Ich treffe keine Entscheidungen aufgrund von Barrikaden und Blockaden.“

Die Demonstrationen haben Großbritannien fast zum Stillstand gebracht. In den Großstädten herrschte Verkehr wie sonst am Sonntag, die Supermärkte haben Brot und Milch rationiert, beim staatlichen Gesundheitsdienst wurde höchste Alarmstufe ausgerufen, und die Armee wurde in Notbereitschaft versetzt. Auch das Königshaus wurde in Mitleidenschaft gezogen. Prinz Charles musste am Mittwoch abend einen Theaterbesuch mit seiner Freundin Camilla Parker Bowles absagen, weil er kein Benzin hatte. Die Polizei hatte ihm zwar angeboten, er könne sich aus der Notreserve bedienen, doch Charles lehnte ab: „Ich bin doch kein Notdienst.“

Premierminister Tony Blair hatte sich am Mittwoch direkt an die Demonstranten gewandt. „Es ist an der Zeit, mit den Blockaden aufzuhören und das Land wieder zur Normalität zurückkehren zu lassen.“ Obwohl die Tanklastwagen seit gestern wieder rollen, wird der Ausnahmezustand in Großbritannien noch eine Weile andauern. Roy Holloway vom Verband der Tankstellenbesitzer warnte, dass es zwei bis drei Wochen dauern werde, bis sich die Lage entspannt habe. „Wir stehen vor dem massiven logistischen Problem, die 400 Millionen Liter Benzin auszuliefern, die benötigt werden“, sagte er.

Blair war gestern erleichtert. Es war für ihn zu einer Kraftprobe geworden, ein Nachgeben, so befürchtete er, hätte schwerwiegende Folgen für zukünftige Konflikte gehabt. Als Gewinner kann er sich dennoch nicht fühlen. Michael Portillo, der im Tory-Schattenkabinett für Finanzen zuständig ist, warf der Regierung Inkompetenz vor, räumte jedoch ein, dass auch eine Tory-Regierung den Forderungen nicht nachgegeben hätte.

Verschiedene Zeitungen nutzten die Situation, um Stimmung gegen Europa zu machen. „Wir sind nicht mehr länger eine funktionierende parlamentarische Demokratie“, schrieb der Daily Telegraph in seiner gestrigen Ausgabe. „Bei einem Unterhaus, das vom Premierminister verachtet und von der Europäischen Union dirigiert wird, findet eine parlamentarische Kontrolle nicht mehr statt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen