: „Es geht um Glaubwürdigkeit“
Die grüne Abgeordnete Claudia Roth lehnt den Bundessicherheitsrat als „klandestin tagendes“ Entscheidunsgremium für Rüstungsexporte ab
Interview von BETTINA GAUS und PATRIK SCHWARZ
taz: Ihre Fraktion diskutiert neuerdings, ob Menschenrechte so ein besonders taugliches Kriterium für die Zulässigkeit von Rüstungsexporten sind. Zweifeln die Grünen an den Exportrichtlinien, die sie selbst durchgesetzt haben?
Claudia Roth: Die Fraktion hat die Richtlinien bestätigt. Leider verteidigen aber nicht alle Grünen sie so energisch, wie ich mir das wünsche. Rot-Grün hat beschlossen: Die Menschenrechte haben Vorrang – auch bei Lieferungen in Nato-Länder wie die Türkei. Manche wollen das ändern, aber dann wäre unsere Rüstungsexportpolitik nicht mehr menschenrechtsgeleitet, sondern von militärstrategischen Fragen bestimmt.
Aber gerade im Fall Türkei bleibt doch die Frage: Wie wollen Sie die Kritik an Menschenrechtsverletzungen und den angemessenen Umgang mit einem Nato-Partner miteinander verbinden?
Für mich ist die Frage einer rationalen Türkei-Politik: Wie kann man von außen dazu beitragen, dass es dort zu einer politischen Dynamik kommt, die zur Demokratisierung führt?
Und wie verträgt sich die Lieferung einer Munitionsfabrik damit?
Sie steht im Widerspruch dazu und ist ein Bruch der Richtlinien. Dort heißt es, jede Lieferung muss überprüft werden, die zu Menschenrechtsverletzungen führen könnte. Das gilt wie gesagt auch für Nato-Länder. Außerdem ist die Lieferung unlogisch, denn wenn Panzer mit dem Menschenrechtsargument abgelehnt werden, muss das auch für eine Munitionsfabrik gelten.
Der Bundesaußenminister gehört Ihrer Fraktion an und trägt doch die Exportentscheidung mit. Die Grünen beschränken sich also darauf, ein Rüstungsgeschäft moralisch anzuprangern, das sie zugleich als Regierungsfraktion passieren lassen.
Auf die Dauer ist es für uns nicht möglich zu sagen: Wir waren zwar dagegen, sind aber überstimmt worden.
Dumm gelaufen, aber nicht mehr zu ändern – das Muster ist inzwischen ja vertraut. Häufig dienen dann Altlasten der letzten Regierung als Argument. Wie viele Legislaturperioden müssen die Grünen denn regieren, um ihre eigene Politik machen zu können?
In diesem Fall geht es nicht nur um die Durchsetzung grüner Politik, sondern um die Halbwertzeit von Entscheidungen der gesamten Koalition. Diese Rüstungsexportrichtlinien tragen nicht allein die grüne Handschrift, sonst sähen sie anders aus. Es geht hier und jetzt um die Glaubwürdigkeit von rot-grüner Menschenrechtspolitik.
Ist die Glaubwürdigkeit dahin, wenn die Munitionsfabrik geliefert wird?
Es muss geprüft werden, ob die Vorentscheidung für diesen Vertrag tatsächlich juristisch verbindlich war. Außerdem möchten wir wissen, ob es womöglich noch weitere Vorentscheidungen gibt – und wenn ja, welche.
Und falls Sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Voranfrage juristisch nicht verbindlich gewesen ist?
Dann läge ein Verstoß gegen die Richtlinien vor. Die Bundesregierung müsste klären, ob es nicht doch möglich ist, das Geschäft zu lösen. Ich ziehe allerdings nicht die Schlussfolgerung zu sagen: Dann gehen wir aus der Koalition raus.
Sondern?
Sondern ich sage, dass dieser Vorgang zu neuen Regeln führen muss.
Die neuen Regeln haben Sie ja nun gerade erst mit den neuen Rüstungsexportrichtlinien geschaffen.
Ja, wir haben die Richtlinien, aber wir brauchen für solche Entscheidungen ein neues, transparentes Verfahren, das öffentliche Kontrolle ermöglicht.
Sie plädieren für die Abschaffung des Bundessicherheitsrates?
Über Rüstungsexporte darf nicht in einem klandestin tagenden, nicht kontrollierbaren Gremium entschieden werden. Das ist auch eine Konsequenz aus den Bestechungsvorwürfen gegen den Waffenhändler Schreiber wegen eines Panzergeschäfts mit Saudi-Arabien. Entscheidungen der Exekutive bedürfen parlamentarischer Kontrolle. Ich möchte außerdem einen Nachweis der Behauptung, dass es den Bundessicherheitsrat überhaupt geben muss.
Die grüne Fraktion wirkt im Zusammenhang mit dieser Frage allerdings nicht so sehr kämpferisch.
Für mich ist klar, dass das Thema Rüstungsexporte für uns sehr wichtig ist, daran wird unsere Glaubwürdigkeit gemessen. Andere sehen das vielleicht nicht so. Das halte ich für gefährlich. Nicht zuletzt ist eine restriktive Rüstungsexportpolitik eine Begründung dafür, dass die Grünen im Parlament und an der Regierung notwendig sind.
Wenn die Munitionsfabrik nur eine Altlast der alten Bundesregierung ist: Heißt das zugleich, dass Sie für den Rest der Legislaturperiode weitere vergleichbar problematische Exporte ausschließen?
Das Problem ist objektiv, dass es bei den Rüstungsexportrichtlinien immer einen Interpretationsspielraum über die Einschätzung der Menschenrechtslage geben wird. Möglicherweise werden wir auch eine Debatte über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien bekommen.
Und die Grünen werden entschlossener handeln als im Fall der Munitionsfabrik?
Politische Profilierung erfordert auch Konfliktfähigkeit. Ich hoffe, dass wir künftig bei solchen Fragen konfliktfähiger sind.
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