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Ein ungefüllter Freiraum

Heute vor 10 Jahren wurde kurz vor der Wiedervereinigung der Betrieb der Volkskammer eingestellt. Seither steht der Palast der Republik leer. In Wendezeiten wollte der Runde Tisch auf Antrag der CDU dort noch einen Freiraum des Denkens einrichten

von SIMONE HAIN

Am Morgen des 19. September 1990 standen die Mitarbeiter und Besucher des Palastes der Republik – das war das Gebäude der obersten Volksvertretung der DDR – überraschend vor verschlossenen Türen. Alle, auch diejenigen, die in den Diensträumen des anliegenden Marstalls keinerlei Asbestbelastungen ausgesetzt gewesen wären, wurden am nochmaligen Betreten ihrer Arbeitsplätze gehindert. Die Ausführenden dieser Absperrmaßnahme haben seinerzeit 300 Mark bar auf die Hand erhalten. Eine Art Loyalitätsverpflichtung. Denn was damals geschah, war die Auflösung eines größeren Unternehmens mit in Spitzenzeiten 1.800, damals mindestens noch 1.000 Arbeitnehmern per Hausverbot.

Die Zeit drängte. Drei Wochen später wäre dem Bundeskanzleramt der vereinigten deutschen Republiken die Verantwortung für die Personalkosten und den Unterhalt des Palastes der Republik zugefallen. Doch darüber konnten der Ministerrat der DDR und der Verhandlungsführer Günter Krause kein Einvernehmen erwirken.

Zur Begründung des zumindest arbeits-, aber vermutlich auch verfassungsrechtlich justitiablen Vorganges (Auflösung eines Parlamentsbetriebes) wurde ein Asbestgutachten der Firma Tepasse nachgeschoben, dessen inoffiziell in Umlauf gebrachtes Resultat vom ersten Tag an angefochten wurde. Denn zuvor waren andere Experten und die Bezirkshygienekommission dagewesen, die die Belastung der Mitarbeiter als mittelfristig unbedenklich ausgewiesen hatten.

Es gab einen einzelnen kritischen Bereich über dem Großen Saal, der bereits seit 1988 zur Sanierung anstand und regelmäßig kontrolliert und abgesaugt worden war. Aber auch die dort messbaren Werte lagen unterhalb einer gesundheitlichen Gefährdungsschwelle, wie der zuständige Arzt in den letzten zehn Jahren wiederholt öffentlich versichert hat.

Kein Grund also für die überstürzte Schließung. Es sei denn, Günter Krause und Sabine Bergmann-Pohl waren der täglichen Demonstrationen, Kundgebungen und Flugblattaktionen des Betriebsrates des Palastes überdrüssig und hätten eine nochmalige Besetzung vereiteln wollen.

Schon am 4. März 1990 hatten Künstlerinitiativen in einer Aktion „Bürger für Bürger“ das Bauwerk in ein „Haus des Volkes“ umbenannt. Sie wollten damals den Auftrag des Runden Tisches bekräftigen, der die Regierung der DDR aufgefordert hatte, „jede Nutzung, Vergabe oder Veräußerung des Palastes der Republik für kommerzielle und repräsentative Zwecke zu unterlassen“. Die neue Zweckbestimmung als Zentrum der alternativen und experimentellen Kunstproduktion müsse schon vor einer eventuell notwendig werdenden Asbestsanierung berücksichtigt werden.

Mit dieser Umwidmung wollte der Runde Tisch auf Antrag der CDU Künstlern und Kulturschaffenden der DDR ein lebendiges Denkmal setzen, die „in Bildern von aufstörendem Sinn“ den Geist des Widerspruchs und des Zweifels an ein mündiges Publikum vermittelt hätten. Ein Freiraum des Denkens und der Reflexion sollte das Haus werden. Unter solchen libertären Ambitionen machte es damals in der DDR niemand – auch nicht die CDU. Der Unterschied zwischen diesem Konzept und dem heutigen Vorstellungsraum der politischen Elite sagt alles über den Charakter der zurückliegenden zehn Jahre. Restauration, Blabla und Tamtam.

Bei ihrem Beschluss zur vorübergehenden Schließung des Hauses bis zur Abestsanierung hatte die Volkskammer keine Aussagen über die arbeitsorganisatorische, wirtschaftliche und personalpolitische Seite der Abwicklung gemacht. Am 11. Oktober 1990 wurde in den Volkskammersaal noch eine Belegschaftsversammlung einberufen, bei der zur rückwirkenden Begründung für die Dringlichkeit der Schließung nun erstmals Schwindel erregende Zahlenangaben gemacht wurden und alle Mitarbeiter Zusagen für Überbrückungsleistungen und Sozialpläne erhielten.

Am 29. Oktober 1990, sieben Wochen nach der Schließung und vier Wochen nach der Vereinigung zog das Bundeskanzleramt in einer Organisationsverfügung den definitiven Schlussstrich, den die Volkskammer offensichtlich schuldig geblieben war: Die Bundesrepublik Deutschland verfügte darin die Auflösung des Palastes der Republik zum 1. November 1990. Aber niemand erfuhr davon, ganze zehn Jahre nicht. Es sollte wohl die nützliche Legende aufrechterhalten werden, die Volkskammer der DDR selbst habe den Beschluss gefasst.

So verantwortungslos wie die Geschichte dahingehudelt worden war, ging sie auch weiter. Das Haus musste weg. Jeder Tag kostete Unsummen. Um aber den Deckel der Verschwiegenheit über der Asbestfrage zu halten, wurde das Gutachten zur Sanierungsstrategie abermals an die Firma Tepasse vergeben. Dies war damals ein Skandal größeren Ausmaßes, denn etliche der 43 Wettbewerber der internationalen Ausschreibung gingen an die Öffentlichkeit und wiesen wesentlich günstigere Verfahren, Kosten und Zeiten nach.

Kein seriöser Politiker hätte sich damals für den Neubau eines Schlosses ausgesprochen. Die Berliner FDP war die erste Partei, die eine rasche Sanierung und Wiedereröffnung des Hauses forderte. Die Grünen kritisierten das Leerstandsproblem. Unvergessen der Moment, in dem der SPD-Abgeordnete und Architekt Peter Conradi bei einem Ortstermin des Bundesbauausschusses demonstrativ die Atemschutzmaske abstreifte. Oder als Stadtentwicklungsenator Peter Strieder (SPD) 1996 den herrlichen Blick durch die großen Fenster auf die Stadt lobte. „Man muss einfach mal herausgesehen haben, um den Palast zu mögen.“

Sehr früh widersprach auch die Akademie der Künste „der Absicht, mit der Schlossreplik neuen, demokratischen Setzungen die Zukunft zu rauben“. Die Architektenkammer Berlin unterbreitete breit abgestimmte Nutzungsvorschläge für das bestehende Gebäude. Verschiedene Abteilungen der Senatskulturverwaltung waren über Monate mit derselben Frage befasst. Im Ergebnis machte die Landesbibliothek für das Haus ein Angebot, das bis heute auch finanziell die sicherste Option darstellt.

Denkmalschützer führten auf Tagungen lückenlos Nachweis über den Denkmalwert des Palastes. Mehrere westdeutsche Universitäten stellten ihren Diplomanten Forschungs- und Entwurfsaufgaben, um die Debatte sachlich auf solide Grundlagen zu stellen. Unterschriften für den Erhalt kamen aus ganz Europa – abermals von Architekten und Kunsthistorikern. Carlo Aymonino, Professor an der Universität Venedig, schrieb: „Ich stimme vollständig darin überein, dass der Palast der Republik erhalten werden muss: wegen seiner Schönheit und wegen seiner einmaligen Funktion.“

Es gibt geradezu wunderbare Nutzungsvorschläge für ein „Palais Reunion“ und Projekte, wie das des „World Peace Ballrooms“ einer Initiative junger Leute, die auch von Christoph Schlingensiefs „Chance 3000“ unterstützt wird. Überhaupt die Initiativen, Vereine und Aktionsbündnisse! Sie haben entscheidenden Anteil daran, dass die Debatte um die Zukunft des Palastes nie verebbt ist. Hunderte Veranstaltungen, sanfte Belagerungen, Podiumsgespräche, die Internetseiten und neuerdings eine Filmproduktion haben auf die schwere politische Hypothek, die der konzeptlose Vereinigungsprozess vor nunmehr zehn Jahren in der Berliner Mitte hinterlassen hat, unermüdlich hingewiesen.

Es wäre zuletzt auch ein Eingeständnis von ökologischer Unvernunft und Beschränktheit im Hinblick auf die dringendsten Aufgaben der Zukunftssicherung, wenn sich der Staat zum Wegwerfen jenes Hauses, seiner Geschichte und seiner Möglichkeiten entschlösse. Schließlich kann man alles und besonders den Palast der Republik in neuen Gebrauch nehmen. Und es gibt den Auftrag des Runden Tisches, jener zivilgesellschaftlichen Institution aus den Novembertagen 1989.

Die Autorin ist Planungshistorikerin und Denkmalpflegerin

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