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Mit oder gegen den Strom?

Gender Mainstreaming soll die gängige Gleichstellungspolitik ablösen. Eine Chance für die Entwicklungspolitik? Oder nur ein Mittel zur Marktgängigkeit? Teil II der Reihe zum Begriff Gender und seinen Folgen

von REGINA FREY

Über die Vereinten Nationen und die Europäische Union kam der Begriff des Gender Mainstreaming in die bundesdeutsche Politik: Unter der Federführung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) arbeitet eine interministerielle Arbeitsgruppe seit diesem Jahr an der Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung. Damit setzt das BMFSFJ auf der Grundlage des Amsterdamer Vertrages eine Richtlinie des Europäischen Rates um. Gender Mainstreaming – nach dem englischen Wort mainstream, Hauptrichtung oder freier: Hauptstrom – soll mehr sein als traditionelle Gleichstellungspolitik, weil eine neue Grundlage für den Umgang mit Geschlechterverhältnissen geschaffen wird. Inzwischen jedoch zeichnen sich auch erste Grenzen ab.

Die Idee des Mainstreaming wurde zuerst im Abschlussdokument der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 verankert, das maßgeblich durch den politischen Druck internationaler Frauenbewegungen zustande kam. Vom internationalen Diskurs früh informiert, hat sich das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bereits 1997 ein „Gleichberechtigungskonzept“ verschrieben, in dem Gender Mainstreaming festgeschrieben ist.

Das Genderinstrumentarium, das in der Entwicklungspolitik seit mehr als zehn Jahren zur Verfügung steht (siehe Randspalte), ist Ergebnis eines langen Kampfes. Mitarbeiterinnen internationaler Entwicklungsorganisationen setzten sich bereits in den Siebziger- und Achtzigerjahren erfolgreich für die Integration von Frauen in Entwicklungsprozessen ein. Unter dem Paradigma der Frauenförderung – im entwicklungspolitischen Jargon Women in Development (WID) genannt – entstand eine Vielzahl an Frauenprojekten; innerhalb entwicklungspolitischer Organisationen wurden Frauenstrukturen geschaffen und Frauenbeauftragte institutionalisiert. Ende der Achtzigerjahre wurden die Grenzen der Frauenförderung, mit denen die Strukturen und Geschlechterverhältnisse nicht geändert werden konnten, sichtbar.

Gender and Development (GAD) löste sukzessive WID ab. Die Ziele wurden hoch gesteckt: Ungleiche Machtverhältnisse sollten durch Genderansätze transformiert und das empowerment von Frauen erreicht werden. Als Querschnittsaufgabe soll die Kategorie Gender in allen Arbeitsprozessen und Maßnahmen eine Rolle spielen und dabei auch eine Transformation der Institutionen nach sich ziehen.

An einigen Stellen scheint der Marsch durch die entwicklungspolitischen Institutionen jedoch zu stocken. Entwicklungspolitische Akteurinnen wie die Afrikanerin Sara Hlupekile Longwe sprechen heute resigniert von einer „Verdampfung von Genderpolitik in den Bürokratien der typischen internationalen Entwicklungsorganisation“ – ein Prozess, der mit zermürbenden Konflikten zwischen internen Aktivistinnen und BürokratInnen in den Organisationen einhergegangen ist.

Die Grenzen des Konzepts werden in der offiziellen Rhetorik deutlich: Wurde mit dem Mainstreaming eine Veränderung auch der inneren Logik entwicklungspolitischer Institutionen und ein empowerment marginalisierter Gruppen beabsichtigt, so greift sich das BMZ mit seinem Fokus auf „Gleichberechtigung“ das am wenigsten weitgehende Anliegen heraus. Statt der Überwindung von Unterdrückungsverhältnissen geht es um eine „gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Männern an Entwicklungsprozessen“ – ob die (nun gleichermaßen) Beteiligten das Entwicklungsmodell akzeptabel finden, ist kein Thema. Und das kämpferische empowerment wird in der Übersetzung des BMZ zur zahnlosen „Machtgleichstellung“. So werden emanzipatorische Anliegen von Mainstreaming dem „Malestream“ angepasst.

Auch wenn Gleichstellung zunächst eine wichtige Forderung bleibt: feministische Foren zum Thema Gleichheit und Differenz haben schon lange vor der Gefahr einer Gleichstellung durch Anpassung an männliche Normen gewarnt. Mainstreaming heißt mehr als ein stromlinienförmiges sich Einfügen in Bestehendes. Beim Instrument des Gendertrainings treten die Grenzen des Mainstreaming deutlich hervor. Diese Trainings sollen die Teilnehmenden für die Problematik sensibilisieren und einen Bewusstseinswandel herbeiführen. Feministinnen aus dem Süden bemängeln heute die Effizienzlogik vieler Gendertrainings aus westlichen Industrieländern. Die indische Gendertrainerin Kamla Bhasin mahnt, dass diese Trainings lediglich Entwicklungsprojekte effizienter machen sollen. Um ernsthaft über Entwicklungspolitik und ihr eingelagertes Machtgefälle nachzudenken, seien solche Trainings nutzlos. Gendertraining könne sogar zum Teil des Problems werden, wenn es die Logik konventioneller Entwicklungspolitik nicht in Frage stelle. Entwicklungspolitik als neoliberale Wachstumsstrategie habe unter anderem dazu geführt, dass arme Menschen (von denen die Mehrzahl Frauen sind) noch weiter marginalisiert würden. Kamla Bhasins Trainings sind deswegen breiter angelegt, ihr geht es auch um politische Kämpfe unterdrückter Gruppen, um patriarchale Strukturen in ihren verschiedenen kulturellen Erscheinungsformen und eine Infragestellung des vorherrschenden Entwicklungsparadigmas des wirtschaftlichen Wachstums.

Auch die Südafrikanerin Bunie Matlanyane Sexwale beurteilt Gendertrainings als technisch orientiert und entpolitisiert und beschuldigt entwicklungspolitische „Femokratinnen“ aus dem Norden, eher an Reform als an Transformation interessiert zu sein. Diese Forderung nach mehr Radikalität verkennt jedoch die schwierige Gratwanderung der Institutionenfrauen, die mit erheblichen Widerständen zu kämpfen haben, schon wenn sie an sehr kleinen Rädchen des Geschlechterarrangements drehen möchten.

Die zermürbenden Auseinandersetzungen, die Genderexpertinnen innerhalb der Entwicklungsagenturen führen müssen, hatten auch den Effekt, dass nur wenige über eigene Grundsätze reflektieren. Der entwicklungspolitische Genderdiskurs ist von einem Mangel an Theoriediskussion gekennzeichnet, was insbesondere am Genderkonzept auffällt. Oft wird Gender einfach mit Frauen gleichgesetzt. Während sich feministische Gendertheorien in den Achtziger- und Neunzigerjahren ausdifferenziert haben, wird im entwicklungspolitischen Diskurs Gender als „soziales“ Geschlecht im Gegensatz zum „biologischen“ Geschlecht (sex) gefasst – eine Definition aus den frühen Siebzigerjahren. Gendertheorien der Neunzigerjahre haben jedoch die Sex/Gender-Unterscheidung kritisch hinterfragt. Gender ist einerseits eine Analysekategorie, die auf verschiedenen Ebenen als Instrument eingesetzt werden kann, um Diskriminierung aufgrund von Geschlechtszuweisungen aufzudecken.

In diesem Sinne kommt sie bei Genderanalysen zum Einsatz. Gender als gesellschaftlich hergestellte symbolische Ordnung ist jedoch gleichzeitig ein Zuweisungsdiskurs, in dem Stereotypen einer polaren Geschlechterordnung von Maskulinität und Feminität (re-)produziert werden. Die Gefahr einer binären Gendermatrix besteht in der Stabilisierung von Mustern, die den Kern des Problems der Ausgrenzung von Frauen darstellen. Müsste es nicht vielmehr um die Dekonstruktion einer binären Genderordnung gehen?

Entwicklungspolitische Genderanalysen orientieren sich dagegen schematisch an einem Mann/Frau-Raster und blenden Unterschiede zwischen Frauen, soziale Beziehungen zwischen Männern und Frauen oder auch Machtverhältnisse, die sich aus anderen Unterschieden wie Status, Alter, ethnische Zugehörigkeit ergeben, aus. Eine „Kluft“, wie sie zum Beispiel das Gleichberechtigungskonzept des Entwicklungsministeriums konstatiert, besteht nicht automatisch entlang der (mehr oder weniger stabilen) Grenze zwischen „Mann“ und „Frau“ – Geschlechterverhältnisse sind umfassender und bestehen auch zwischen Frauen. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen wiederum haben verschiedenste Ausformungen; was eine „Kluft“ ausmacht, hängt nicht zuletzt vom kulturellen Kontext und den jeweils spezifischen Genderkonstellationen ab.

Ein Verständnis von Gender, das über ein binäres Gendersystem hinausgeht, hieße in der Konsequenz, Gender Mainstreaming als umfassendere Transformationsstrategie zu verfolgen, anstatt es auf Gleichstellungspolitik zu minimieren. Zwar ist formale Gleichstellung notwendig und überfällig, darüber hinaus darf die Frage erlaubt sein, was sich konkret ändern wird, wenn zum Beispiel fünfzig Prozent der EntscheidungsträgerInnen in Führungsetagen einen Rock tragen.

Auch wenn der entwicklungspolitische Genderdiskurs weiterhin kritisch zu begleiten sein wird: Die entwicklungspolitischen Akteurinnen können heute auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der anderen Politikfeldern weit voraus ist. Dieser Erfahrungsvorsprung in entwicklungspolitischen Zusammenhängen könnte auch für die Initiative des BMFSFJ von Nutzen sein. Vor allem muss klar werden, dass Gender Mainstreaming mehr ist als alter Wein in neuen Schläuchen: Wenn der Ansatz über Gleichstellungspolitik hinausgehen soll, dann werden auch strukturelle Fragen nach demokratischen Standards (auch auf internationaler Ebene), nach Verfahren und Entscheidungsprozessen evident. Wer Gender Mainstreaming ernst nimmt, muss sich herausnehmen, auch gegen den bestehenden Genderstrom zu schwimmen.

REGINA FREY, 34, ist Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Freien Universität BerlinDemnächst in unserer Gender-Reihe: die deutsche Mainstreamingkritik und die Praxis

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