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Billig, Schnäppchen, Angebot, Restposten

Mit Schlagwörtern zum Ziel: Im Internet wird eingekauft bis zum Umfallen. Von Ebersperma bis zur DDR, alles da. Laut Burkard Luhmer vom Deutschen Multimedia Verband verlagert sich das Shoppingerlebnis zunehmend in das Wohnzimmer und an den Schreibtisch. Shoppen und Klicken

von RON HILLMANN

Es naht die Zeit, da werden Änderungen am Ladenschlussgesetz nur noch am Rande erwähnt werden. Wozu sollte sich der mündige Bürger auch damit auseinandersetzen? „Das Shoppingerlebnis verlagert sich ins Wohnzimmer und an den Schreibtisch. Start-ups sowie Carve-outs renommierter Warenhäuser schaffen im Internet innovative Mehrwerte“, so die realistische Prophezeiung von Burkard Luhmer vom Deutschen Multimedia Verband.

Rechner, Modem und Internetzugang sind mittlerweile Standard. Goethe wird für einen Schatz von 85.000 Worten gerühmt. Wir benötigen lediglich 2.000 Schlüsselwörter, um an unser Ziel zu gelangen. „Preis, billig, Schnäppchen, Angebot, Restposten“, schon antwortet uns die Suchmaschine.

Musikkataloge landen im Papierkorb. Wer Musik sucht, kann unter www.idealo.com innerhalb von 30 Sekunden alle wichtigen Musikshops durchsuchen. Ein Preis- und Angebotsvergleich liefert als Ergebnis eine umfassende Marktübersicht. Der Mitgründer Alexander Wolf untermauert das Businessmodell von Idealo: „Arrogante Verkäufer sind seit Jahren nicht mehr vom Fach. Virtuelle dagegen, die kennen sich aus. Auch die ungewöhnlichste Frage wird durch digitale Interaktion beantwortet.“

Einen anderen Service bietet www.yellout.de. Das Team um Karsten Stein setzt mit einer Plattform für Ausschreibungen auf „Convenience“. Wer seinen Einkaufszettel auf der Seite eingibt, bekommt nach kurzer Wartezeit per E-Mail die Angebote von lokalen Lieferfirmen. Der „User“ wählt das beste Angebot, wird umgehend beliefert und zahlt bequem an der Haustür. Vorbei die Zeit des Kistenschleppens und der Parkplatzsuche.

Der Einkauf im Netz ist facettenreich und grenzenlos. Spielzeug und Pokémon-Zubehör lässt sich unter www.mytoys.de komfortabel kaufen. Masken aus hochwertigem Latex werden bei www.ceno.com angeboten. Der Slogan der Firma: „Sie passen auf die Birne eines Politikers genauso gut wie auf den Eierkopf eines Boxers.“ Sogar heiße Luft ist mittlerweile unter www.kolonialwarenladen.de erhältlich. Daneben verkaufen die Betreiber ernsthaft Mörtel als die neue Partydroge. Vom angebotenen Ebersperma abgesehen ist der Webauftritt gut gelungen und mit dem alten Konsum-Symbol sehr einprägsam.

Selbst die ehemalige DDR kann man kaufen. Zumindest ihre Webadresse. Angang Juli verschleuderte Herr Hänsel aus Kamenz die Adresse www.ddr.de für 4.500 Mark von Ost nach West im Netz. Der neue Eigentümer, Herr von Heesen aus Oberusel, schraubte den Preis sofort nach oben. Er verlangt jetzt 20.000 Mark für die mit Erotik belegte Seite.

Nie war es leichter, unserer Bestimmung nachzukommen. Wir sind Konsumenten! Wenn nötig, dann 24 Stunden am Tag. Hunger? Kein Problem! Für die Lieferung von Asia-Food bis hin zur Pizza hat sich www.bringdienst.de in den letzten Jahren etabliert.

Und schon entwickelt sich in der Hauptstadt ein neuer Trend. Die Firma des Schweizers Kaspar Althaus liefert Ciabattas. Nach erfolgter Bestellung bei www.eatsandwich.de rasen junge hübsche Vespa-Fahrerinnen los, um den Nahrungssuchenden zu beliefern. Tickets für Sport, Musik und sonstige Events preiswert online bestellen? Bei www.wannago.de unproblematisch möglich!

Einen Tauchgang zur „Titanic“, einen Flug mit einem Überschallkampfflugzeug und viele andere ausgefallene Dinge gibt es bei www.lastminute.com zu buchen. Die Wohnung wird bei www.immobilienscout24.de gefunden. Dazu den benötigten Umweltstrom? Darauf hat sich www.astromo.de spezialisiert. Das Web ist ein einzigartiger Einkaufskatalog.

Noch überleben Power-Shopping-Angebote wie etwa www.coshopper.com oder auch www.letsbuyit.com. Über Tage hinaus muss der Kaufwillige bei diesen Anbietern hoffen, dass sich weitere Interessenten anschließen, um gemeinsam einen günstigen Preis zu erzielen. Doch wir vergleichen, selektieren und wollen sofort bestellen. Hersteller stellen sich darauf ein. Mit eigenen Online-Shops penetrieren sie durch Tiefpreise den Markt. Die Margen für Zwischenhändler werden weiterhin sinken.

Der Markt wird für den Verbraucher transparent. Wer wirkliche Schnäppchen in spannender Weise erwerben möchte, sollte sich auf www.andsold.de umsehen. „Die durch Hape Kerkeling umworbene Auktionsseite listet permanent eine große Auswahl, von Designerklamotten bis hin zu Feinschmeckermenüs und ist in Deutschland einzigartig“, sagt Oliver Rudnick von der Bertelsmann-Tochter. Nicht nur die Gütersloher Mutter, sondern auch der Rest der Medienmilliardäre zieht nach. „Das Massenmediengesetz ist von gestern“ – neue Töne aus den Vorstandsetagen von Bertelsmann, Springer, Holtzbrinck und Burda? Redaktionelle Unabhängigkeit verschwindet zunehmend im WWW. E-Business ist auch bei ihnen das Zauberwort für den zukünftigen Erfolg.

Freuen wir uns auf die Entwicklung des Online-Auftritts der klassischen Medien. Wenn wir in den Nachrichten zukünftig von neuen Produkten lesen, genügt ein Mausklick. Und mit dem nötigen Kleingeld bestellen wir die Turnschuhe aktueller Olympiasieger oder das Outfit kommender „Stars“ von „Big Brother“. Dank Internet!

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