Kommentar: Krankes Feindbild
■ Warum sich die Polizei mit ihrer absurden Argumentation selbst ein Bein gestellt hat
Verwaltungsrecht ist dröge. Es geht weniger um Inhalte oder Tatsachen, sondern um Normen, die in Vorschriften festgelegt sind. Und nach den Normen und Vorschriften genügt eine einfache Staatsschutz-Prognose – ist sie auch noch so schwachsinnig – um polizeiliches Handeln formal zu rechtferigen. Bewiesen werden muss nichts.
Da reicht die plakative Formel „Naziaufmarsch verhindern“ aus, um Gewalt von Autonomen zu prognostizieren und rechte oder Antifa-Demos zu verbieten. Unterstützend werden dann Aktionen aufgelistet, die mit Akualität nichts zu tun haben: Die „Entglasung“ der Waitzstraße war 1986 eine direkte Reaktion auf den Tod von Günter Sare, der bei einer Demo von einem Wasserwerfer überrollt worden war. Auslöser der Randale in der Schmilinskystraße 1981 war der Versuch der Polizei, eine Demo von 12.000 Menschen gegen den Pro-Brokdorf-Beschluss der SPD aufzulösen.
Es ist zwar lobenswert, wenn die Polizei, wie im vorigen Jahr, wenigsten den Versuch unternimmt, rechte Märsche zu unterbinden. Doch sollte sie sich von ihrem überholten Feindbild verabschieden. Mit der Argumentation, Autonome seien grundsätzlich gewalttätig, und wenn sie am eigentlichen Ziel nicht das erreichten, was sie möchten, rennten sie beleidigt durch die Stadt und machten alles kaputt, hat sich die Polizei nun selbst ein Bein gestellt. Und nicht nur das: Mit dieser Fiktion wurde gleichzeitig vielen Antifaschisten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit genommen, das derzeit den Rechten gewährt wird.
Kai von Appen
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