: Die Grenze zum Terrorismus
Nach Synagogen-Anschlägen sehen immer mehr Politiker organisierte Gewalt am Werk. Innenminsterium: Keine „terroristischen Strukturen“, wohl aber „geplante Anschläge“
von COSIMA SCHMITT
Nach den Anschlägen auf die Synagogen in Düsseldorf und Berlin-Kreuzberg hat sich die politische Debatte um die Einschätzung der Rechtsextremisten zunehmend hysterisiert. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering sprach gestern von „Leuten im Hintergrund“, die mit Brandanschlägen Zeichen setzen wollten. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin sieht sogar „Parallelen zum Linksterrorismus der RAF in den 70er-Jahren“. Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Andreas Nachama, die Auswüchse antisemitischer Gewalt mit dem Linksterrorismus verglichen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele glaubt nicht, dass die Anschläge „zentral gesteuert“ sind. Doch solle offensichtlich „das jüdische Kulturleben gezielt verunsichert“ werden, sagte er zur taz.
Ausgerechnet am zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung hatten Rechte einen Brandanschlag auf die Synagoge von Düsseldorf, dem Wohnort von Paul Spiegel, Vorsitzendem des Zentralrats der Juden in Deutschland, versucht. SPD-Generalsekretär Müntefering vermutet daher, dass die Gewalttäter nicht diejenigen seien, die die Strategien entwickeln. Es seien vielmehr „Leute im Anzug, die den Gewaltbereiten Futter geben“. Müntefering fordert daher ein NPD-Verbot, um die Logistik der Rechtsextremisten zu zerstören.
Ein Verbot hält der Grüne Ströbele für „das Falscheste, was man jetzt diskutieren könnte“. Es gebe keinerlei Hinweise, dass die NPD die Anschläge organisiert hat. Der Schriftsteller Stefan Heym hatte gestern gar gefordert, jedes öffentliche Auftreten Rechtsextremer zu unterbinden. „Das muss polizeilich unterdrückt werden, mit diktatorischen Mitteln.“
Norbert Spinrath, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, will die Videoüberwachung der jüdischen Einrichtungen verstärken. Eine „ambivalente Maßnahme“, findet dagegen Grünen-Politiker Ströbele. „Das kann nur die allerletzte Möglichkeit sein, denn es ist das Gegenteil von Normalität“.
Anders als die Justizministerin sieht das Bundesinnenministerium momentan keine Anzeichen für organisierten Rechtsterrorismus. Es handele sich um Einzeltäter. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat allerdings bereits in seinem letzten Lagebericht vor der „Gefahr der Herausbildung terroristischer Strukturen“ gewarnt. Neuere Erkenntnisse liegen im Gegensatz zu einem Bericht der Bild-Zeitung nach Angaben des Innenministeriums nicht vor. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse warnte denn auch davor, dass die Aufregung um die Anschläge den Tätern eine Aufmerksamkeit verschaffe, die sie nicht verdienten.
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