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Der Kreis schließt sich

Nach einem Jahrzehnt von Balkankriegen findet als letztes Land Serbien selbst zur Demokratie

aus Sarajevo ERICH RATHFELDER

Es war kalt im Januar 1993, die Einschläge der Granaten waren überall zu hören. Sarajevo war eingeschlossen. Die Menschen hungerten und froren, Hunderte starben durch Scharfschützen oder den Beschuss. Der serbische General Jovan Divjak, Vizekommandeur der Bosnischen Armee, – ja, ein Serbe aus Belgrad verteidigte die Stadt gegen Milošević, Karadžić und Mladić – war dennoch optimistisch: „Milošević wird den Kampf verlieren. In Belgrad hat der ganze Schlamassel angefangen, in Belgrad wird der Krieg auch enden.“

Eine bemerkenswerte Sicherheit in der damaligen Situation. Divjak war davon überzeugt, dass der Wille zur Freiheit bei den Menschen in allen Republiken nicht zu unterdrücken sei. Er ging davon aus, dass es nach Bosnien einen Krieg im Kosovo geben und am Ende in Belgrad zum Befreiungsakt kommen würde.

Divjak begriff den Krieg im ehemaligen Jugoslawien wie viele andere als Kampf der Nationalisten und Stalinisten gegen Freiheit und Demokratie. Als Ende der 80er-Jahre in Polen, Ungarn, der ČSSR, Rumänien und Albanien Putsche und Revolutionen siegten, als die Mauer fiel, wurde auch unter den Intellektuellen Jugoslawiens diskutiert. Welche Gestalt würde der Übergang vom Kommunismus zur Demokratie in ihrem Land annehmen?

In Polen wurden dem Staat Reformen durch die antikommunistische Gewerkschaftsbewegung Solidarność abgerungen. In Ungarn wurde die Entwicklung zur Demokratie von einer reformorientierten Fraktion der Kommunistischen Partei durchgesetzt. In der Tschechoslowakei, wo nach 1968 konservative Apparatschicks herrschten, waren Demonstrationen und Massenstreiks notwendig, um das Regime in die Knie zu zwingen. Ähnlich in der DDR. In beiden Fällen implodierte das Regime.

Das Ceaușescu-Regime in Rumänien wehrte sich – der Iliescu-Flügel der Kommunistischen Partei, der sich auf eine revolutionäre Volksbewegung stützen konnte, musste Gewalt anwenden. Es kam zu Kämpfen, das Diktatorenehepaar Ceaușescu wurde Ende Dezember 1989 erschossen. Auch beim Umsturz in Albanien wurde Blut vergossen. „Wird dies auch bei uns geschehen?“, fragte damals im Winter 1990 der slowenische Philosoph Tomaz Mastnak, einer der Köpfe der Demokratiebewegung in seinem Land, um gleich zu differenzieren: „Jedes Land des Ostblocks hat einen eigenen Weg zur Demokratie gefunden, und dies wird leider auch in den Republiken Jugoslawiens der Fall sein.“

Schon 1990 hatte sich herauskristallisert, dass die Demokratisierung des Gesamtstaates Jugoslawien nicht möglich war. Das Projekt des jugoslawischen Premierministers Ante Marković, mit Wirtschaftsreformen und Wahlen für das Gesamtparlament Jugoslawien zu retten, war schon 1989 fehlgeschlagen, nachdem Milošević einen Wirtschaftsboykott Serbiens gegen Slowenien verfügt hatte. Nicht genug damit: Während der nationalistischen Hasskampagne 1988/ 89 gegen die Albaner des Kosovo wurden die serbischen „Massen“ von Slobodan Milošević und seinen Bündnispartnern, den extremen Nationalisten, psychologisch auf den Krieg vorbereitet. Milošević gewann 1990 die Wahlen und ließ die serbische Demokratiebewegung von Panzern niederwalzen.

In Slowenien unterstützte auch der Reformflügel des Bundes der Kommunisten die miteinander verschmelzenden Bewegungen für Demokratie und Unabhängigkeit. Als 1991 die damalige Jugoslawische Volksarmee eingreifen wollte, kam es zum bewaffneten Volkswiderstand. Die Armee zog sich nach 10 Tagen zurück.

Es war geschossen worden. Die Kämpfe setzten sich in Kroatien fort. Zwar trat in Kroatien die nationale Frage stärker hervor als in Slowenien, doch auch in Zagreb verteidigten die Menschen ihre neu erworbene Freiheit. Die ersten ethnischen Säuberungen, die Vertreibung aller Kroaten und Nichtserben aus den serbisch besetzten Gebieten in Kroatien 1991, machte aus der Bewegung für Demokratie und nationale Selbstbestimmung einen „Vaterländischen Krieg“. Milošević und der kroatische Präsident Tudjman bekämpften sich, gleichzeitig aber waren sie sich in den Kategorien einig: Es ging jetzt um den Kampf für Territorien und der Veränderung der Grenzen. Diese Übereinkunft sollte fatale Konsequenzen haben. Dem serbischen Angriff auf Bosnien und Herzegowina 1992 folgte der kroatische 1993. Beide Regime hatten zum Ziel, das Land unter sich aufzuteilen. Die bosnischen Muslime hatten in diesem nationalistisch-aggressiven Konzept keinen Platz mehr und wurden folgerichtig mit den Mitteln der „ethnischen Säuberungen“ bis hin zum Völkermord bekämpft. Bei vielen Verteidigern Sarajevos und Bosniens war aber der Gedanke an Toleranz, Demokratie und Verständigung lebendig geblieben. In ihrem Selbstverständnis verteidigten sie Sarajevo „gegen den Faschismus“.

Dass der Potentat in Belgrad gefallen ist, löst heute Erleichterung und Freude aus. Der Kreis hat sich geschlossen. Auf die Bilder vom Sturm des Parlaments, von der Eroberung der Fernsehstation, hat Jovan Divjak aber lange warten müssen. Der Krieg hat viele Brücken von einst zerstört.

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