die stimme der kritik
: Betr.: Warten auf den Literaturnobelpreis

Okri? Lessing? Fuentes? Gunda Röstel!

Die Welt wartet wieder mal auf die Vergabe des Literaturnobelpreises. Kommenden Donnerstag soll es so weit sein. Wer den Preis bekommt, ist bekannt. Entweder Ben Okri oder Doris Lessing oder Carlos Fuentes oder ein anderer. Wie die taz-Glossenredaktion vom Nobelkomitee erfuhr, hat in den letzten Tagen die sächsische Lyrikerin Gunda Röstel Boden gutgemacht. Manche in der Schwedischen Akademie meinen sogar, bei der Preisvergabe laufe alles auf sie hinaus.

Röstel???? Gunda Röstel??????

Das ist ein Hammer, was? Okay, hier erst mal eine Leerzeile zum Verdauen.

Also, die ehemalige Grünen-Chefin Gunda Röstel, die von Joschka Fischer vor ein paar Monaten aus ihrem Amt gemobbt wurde, musste mit einem Posten entsorgt werden. Lange fanden die Grünen nichts für sie, schließlich wurde die Frau aus Flöha bei der Gelsenwasser AG als Lobbyistin untergebracht. Auf die Frage, warum sie diese für sie doch etwas ungewöhnliche Aufgabe übernommen habe, antwortete die frühere Sonderschullehrerin: „Wasser als Medium ist für mich sehr interessant wegen der spannenden Entwicklungen.“

Dieser Satz schlug beim Nobelkomitee in Stockholm wie eine Bombe ein. Wasser als Medium ist für mich sehr interessant wegen der spannenden Entwicklungen – immer wieder sprach die Schwedische Akademie diese schlichten, aber doch geheimnisumwitterten Worte. Ein Akademiemitglied lernte sogar Sächsisch, um hinter das Geheimnis von Röstels Sprache zu kommen. Dann gab es erste Einwände: War das literarische Werk von Röstel, das nur aus diesem einen Satz bestand, nicht ein wenig karg? Es gehe hier nicht um Masse, antworteten die Kritiker. Camus habe auch nicht viel mehr geschrieben. Röstels Satz vereine schließlich die sprachliche Eleganz eines Thomas Mann, das revolutionäre Pathos eines Pablo Neruda und die Wildheit eines Ernest Hemingway. Heiner Müller!, rief ein Akademiemitglied. Ja, ja, sagten die anderen, in der Röstel stecke auch dieser apokalyptische Schwachsinn von Müller.

Es wird eine ungewöhnliche Entscheidung des Nobelkomitees geben, und sie wird Folgen haben. Tom Tykwer hat schon die Filmrechte an dem Satz erworben, Franka Potente will Gunda Röstel spielen, und Joschka Fischer sieht die Grünen langfristig bei 65 Prozent. Auf Wasser will seine Partei eine Steuer erheben. Wegen der spannenden Entwicklungen. JENS KÖNIG