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Philosophisches Stadtgeflüster

Was tun, wenn die Tochter kifft und einem nichts zum Thema Hoffnung oder Furcht einfällt? Natürlich! Erst mal Lammrücken essen und Riesling trinken, bis die Bäckchen rot werden. Und das alles natürlich im Restaurant Austria in Kreuzberg, für nur hundert Mark. Ein Stück Philosophie in mehreren Gängen

von KIRSTEN KÜPPERS

Einmal im Monat findet im Restaurant „Austria“ in Kreuzberg ein „Philosophisches Diner“ statt. Die drei Geisteswissenschaftler Peter Brune, Horst Gronke und Uwe Nitsch laden 15 Personen zu einem österreichischen Vier-Gänge-Menü, bei dem philosophische Fragen diskutieren werden. Der Abend samt Essen und Getränken kostet 100 Mark. Studenten zahlen 80 Mark. Das klingt abschreckend nach einer neuen Variation in der Literatursalonmode. Man wolle indes kein exklusiver Club von Berufsphilosophen sein, sagt Uwe Nitsch. Im Austria hängen Spazierstöcke und Alpenlandschaften an der Wand.

Das Thema des heutigen Abends lautet „Was hoffen? – Was fürchten?“ Nachmittagstalkshows, Gesundheitssendungen und Gemeindegottesdienste heißen manchmal so. Die Hinterzimmer-Runde im Austria behandelt philosophische Alltagsprobleme. Acht Frauen und drei Männer sind gekommen. Die weiße Tischdecke verspricht höfliches Betriebsklima. Neben jeder Serviette liegt ein Bleistift. Es melden sich immer überwiegend Frauen an, sagt Nitsch.

Aperitif

Friedrich der Große habe mit Voltaire auch getafelt und philosophiert, erklärt Nitsch den Gästen. Essen sei beim Philosophieren hilfreich, weil es die Argumentation verlangsame. Der Wein wird auf zwei Gläser pro Kopf limitiert. Das lockere die Gesprächsatmosphäre auf, sagt Nitsch. Zwei Gläser reichen nicht für einen Schwips.

Jeder Gast muss sagen, was er hofft und fürchtet. Menschen ohne akademischen Hintergrund seien oft die besten Alltagsphilosophen, findet Nitsch. Die Gesichter entspannen sich. Eine Journalistin hofft auf den Sommer, eine Ärztin meint: „Hoffen und Harren macht Frauen zu Narren“, ein Politologe möchte nicht, dass seine mit Alkohol und Hasch experimentierende Teenager-Tochter in die Drogenszene abrutscht. Zwischendurch erklärt der Geschäftsführer des Austria, womit die vegetarischen Rouladen gefüllt sind.

Erster Gang

Klare Paradiessuppe mit Käserschöberl: Die Tischgesellschaft beißt sich an der Vater-Tochter-Drogen-Problematik fest. Eine berlinernde Gesamtschullehrerin gibt zu, sie hätte früher auch „mal locker einen geraucht“. Sie fügt hinzu: „Hoffen ist eigennützig. Schließlich will ich meine Tochter nicht im Knast besuchen“. Das können alle verstehen. Philosophie ist kein Luftwesen. Im Austria ist sie warm, die Herzen gehen auf.

Zweiter Gang

Vogerlsalat mit Kernöl, Knoblauchtoast und Speck: Eine zweite Ärztin findet: „Wenn man schon den ganzen Ärger mit der Erziehung hat, sollen wenigstens anständige Kinder rauskommen.“

Moderator Gronke hält fest: Als Vater hoffe man, dass die Tochter gesund bleibt. Seine Stimme klingt besänftigend nach evangelischem Pfarrer. Viele Gäste haben rote Backen vom Wein und nicken.

Dritter Gang

Gefüllter Lammrücken mit Steinpilzgratin und Fisolen oder vegetarische Rouladen mit Sauerkrautsoße: Beim Hauptgericht dürfen sich die Gäste über andere Dinge unterhalten. Über ihre unterschiedlichen Dialekte zum Beispiel. Eine Lehrerin berichtet von den 70er-Jahren.

Satt merkt die Runde plötzlich, dass noch Gehaltvolles geleistet werden muss. Das Essen ist nicht umsonst. Entspanntes Gesprächsgeplätscher hat zwar Erlebniswert, aber noch kein Ergebnis hervorgebracht, das der Seriösität des Rahmens entspricht. Zumindest ein alltagstaugliches I-Ging-Sätzchen wäre ein angemessenes Souvenir des Abends. Also Kausalitäten herstellen! Irgendwer kommt auf: „Furcht gebiert Hoffnung. Hoffnung gebiert Furcht.“ Kurzes Erschrecken über die Griffigkeit der Formel. Eine der Ärztinnen kontert mit einem jüdischen Witz. Der Politologe schweigt. Wahrscheinlich ist er froh, dass seine kiffende Tochter nicht mehr durchdiskutiert wird. Weiteres Ringen um die Wahrheit.

Vierter Gang

Scheiterhaufen mit Vanillesoß: Mein Tischnachbar raunt: „Solange die Hotelbar noch offen ist, gibt es immer noch Hoffnung“. Moderator Gronke bringt die Lösung: „Das Begriffspaar Hoffen und Fürchten ist häufig zusammengespannt.“ Lottospieler sind auch so ein Beispiel. Der Knoten ist geplatzt. Glückliches Strahlen.

Mocca

Eine ältere Frau mit Hochsteckfrisur resümiert aufgeräumt, sie verstehe jetzt ihren spielsüchtigen Handwerker besser. Der Wirt bringt trällernd einen Cognac. Horst Gronke verteilt gut gelaunt Blätter mit Philosophenzitaten. Gerne nimmt man die sympathisch unentschlossenen Sätze von Kierkegaard mit nach Hause: „Doch weiß ich noch einen Rat. Du musst dich teilen; am Tage musst du hoffen und nachts weinen oder am Tage weinen und in der Nacht hoffen.“

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