: Wozu haben wir Computer?
Die taz hat keine Onlineredaktion, sie ist online – seit fünf Jahren. Seit zwei Wochen sind auch ihre Leser online: Sie können über jeden Artikel im Internet diskutieren, untereinander und mit dem Autor
Für einmal sollen die ersten nicht die letzten sein – auch wenn es so in der Bibel steht. Am 12. Mai 1995 hat die taz ihren Lesern zum ersten Mal mitgeteilt, dass sie ihre Zeitung auch im Internet lesen können. „Digitaz“ hieß die Version für das World Wide Web, die zu diesem Zeitpunkt schon seit Monaten online war. Aber darunter konnte sich in der Redaktion niemand etwas vorstellen. Auch sonst konnte das damals fast niemand.
Am Abend des 12. Mai fand trotzdem eine große Party in der Kochstraße statt. In einer Ecke war ein PC aufgebaut, auf dem die erste Homepage der Digitaz zu bewundern war. Kaum jemand interessierte sich dafür. Der Verlag hatte zum Fest geladen, weil eine der kreativen Chefredaktionskrisen gerade überstanden war. Verglichen damit war die Online-taz nur irgendeine seltsame Idee von seltsamen Leuten, über die man sich weiter keine Gedanken machen wollte.
Drei Jahre später gab es keine deutsche Zeitung mehr ohne Onlineausgabe. Die taz war mal wieder die erste gewesen und ganz selbstverständlich kamen (manchmal mit der Post, häufiger per E-Mail) die ersten Bewerbungen junger Journalisten und Journalistinnen ins Haus, die in der Onlineredaktion der taz ein Praktikum machen wollten. Nur: Die taz hat keine Onlineredaktion. Die taz ist online nichts anders als die taz, sie wird jeden Tag komplett mit allen Texten von den Computern auf den Webserver abgelegt.
Heute will fast niemand glauben, dass es immer noch so ist. Für jede Zeitung und jedes Magazin haben die Verlage eine eigene Onlineredaktion eingerichtet. Sie können sich nicht vorstellen, wie sie anders im Internet auftreten sollten – und sie geben viel Geld aus dafür. Die taz dagegen beweist jeden Tag, dass all das vollkommen überflüssig ist. Wofür haben wir Computer? Es kommt auch im Internet nur auf den Inhalt an, den allein die Redaktion in der Qualität erzeugen kann, die man von einer Zeitung erwarten muss. Aber nur die taz traut sich, diesen Inhalt, ihr Herz und ihre Seele, hemmungslos und vollständig den Computern zu überlassen, damit sie das Beste, das sie zu geben hat, im Internet verfügbar machen.
Noch heute ist deshalb die taz allen Zeitungen um Jahre voraus, die im Internet nur ein blasses Abbild des gedruckten Originals sind. Aber auch dieser Fortschritt hat seinen Preis. Weil die taz ihre Onlineausgabe allein von Computern erzeugen lässt, konnte sie bisher kaum auf ihre Onlineleser reagieren. Die Digitaz war – wie das Schlagwort heißt – wenig „interaktiv“. Sie sah allmählich sogar ein bisschen alt aus neben anderen Onlinezeitungen, die ihren Lesern gleich ein ganzes Kaufhaus zum Anklicken einrichten. Dafür hat die taz weder Zeit noch Geld.
Seit zwei Wochen macht sie ihren Lesern ein ganz anderes Angebot. Sie will ihnen nichts verkaufen, sie will wirklich mit ihnen ins Gespräch kommen, und sie will außerdem, dass ihre Leser miteinander reden. Nur das ist ein sinnvoller Begriff der Interaktion. Deshalb steht unter jedem – wirklich jedem – Artikel der Onlineausgabe ein Link, mit dem man das so genannte Forum öffnen kann, das zu diesem Artikel gehört.
Man kann nun für dieses Forum einen eigenen Beitrag zum Thema schreiben, man kann lesen, was andere bereits dazu geschrieben haben, die vielleicht wiederum auf den eigenen Beitrag antworten. Die Diskussion ist eröffnet, und wann immer ein Beitrag eingegangen ist, schicken die Computer der taz eine Nachricht an die jeweiligen Redakteure und Autoren der Artikel, damit auch sie an der Debatte teilnehmen. Sie sollen nicht bloß die Meinungen ihrer Leser kommentieren.
In den Foren stehen keine Leserbriefe, sondern öffentliche Stellungnahmen zur Sache. Redakteure und Autoren können daraus lernen, sie können mit eigenen Beiträgen die Themen ihrer Artikel ergänzen, sie können ihre ursprünglichen Texte korrigieren – in einer fairen Diskussion ist es keine Schande, einen Irrtum zuzugeben. Das Ergebnis bleibt online nachlesbar im taz-Archiv, ein anfänglich kurzer Artikel kann sich im Forum zur ausführlichen Hintergrundanalyse auswachsen. Wahrscheinlich ist es in wenigen Jahren selbstverständlich, dass nicht nur Journalisten, sondern auch ihre Leser in derselben Onlinezeitung ihre Meinungen und ihr Wissen veröffentlichen. Wieder wird niemand glauben, dass die taz dafür fast kein Geld ausgegeben hat.
Aber jede Revolution ist aus der Armut entstanden, auch diese. Die taz wird niemals jemanden einstellen können, nur um mit ihren Lesern zu diskutieren. Es sind die Autoren und Redakteure der Onlineartikel selbst, die nun auch ihre Internetforen betreuen. Sie werden sich die Zeit dafür nehmen, denn es sind ihre Foren, und ihre Leser.
Auch in diesem Fall kommt der Inhalt aus erster Hand, alles andere erledigen die Computer ganz allein.
NIKLAUS HABLÜTZEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen