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„Ich liebe Deutschland“

Interview JENS KÖNIG

taz: Frau Zimmer, sind Sie stolz, eine Deutsche zu sein?

Nein!

Warum sind Sie so erschrocken?

Wegen Ihrer Frage. Ich bin doch nicht stolz, Deutsche zu sein. Ich lasse mich nicht in die Nähe von Leuten rücken, die mit diesem berüchtigten Ausruf eine bestimmte politische Grundhaltung zum Ausdruck bringen wollen.

Sie lieben Deutschland, haben Sie auf dem Parteitag in Cottbus gesagt.

Ja, aber das ist etwas anderes. Im Übrigen stimmt der Satz von mir nur, wenn Sie ihn vollständig wiedergeben: Ich liebe Deutschland, und zwar ganz bestimmte Dinge, und ich hasse Deutschland. Das Laute, Aggressive, Arrogante mag ich an diesem Land gar nicht.

Sie bezeichnen ein solches Liebesverhältnis zu Deutschland als „völlig normal“. Sie wissen, dass das nicht stimmt. In Ihrer Partei ist es alles andere als normal.

Stimmt. Aber nicht nur in meiner Partei. Viele Linke in diesem Land haben ein schwieriges Verhältnis zu Deutschland.

Das ist aber freundlich ausgedrückt. Sie rühren an einem linken Tabu.

Ich weiß. Die meisten Linken definieren sich bis heute meistens außerhalb oder gegen Deutschland, gegen die Nation. Genau das will ich verändern. Ich muss doch nicht unbedingt ein Land bekämpfen, wenn ich Verhältnisse in ihm ändern will. Mit Hass können wir keine Menschen gewinnen und schon gar nicht deren Angst vor der PDS abbauen.

Was man nicht hasst, muss man nicht gleich lieben. Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann hat auf die Frage, ob er die Bundesrepublik liebe, geantwortet: Ich liebe meine Frau. Aber Sie bekennen sich zu Deutschland. Finden Sie das nicht komisch?

Nein. Ich liebe Deutschland – diesen Satz habe ich in Cottbus ganz bewusst gesagt. Ich wollte meine Partei provozieren. Eine der vielen Blockaden, die die PDS an ihrer Entwicklung behindern, ist ihr verkrampftes Verhältnis zu dieser Bundesrepublik.

Was verstehen Sie darunter?

Ich meine das in dem Sinne, dass wir uns Sorgen machen um dieses Land, um die Menschen, die in ihm leben. Brecht hat das in seiner „Kinderhymne“ sehr gut beschrieben: „Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand / Daß ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes Land“.

Woher kommt bei Ihnen dieses Gefühl? Vor zehn Jahren waren sie noch Parteisekretärin im VEB Jagdwaffen- und Fahrzeugwerk Suhl und liebten die DDR.

Die DDR habe ich als meine Heimat empfunden, das ist richtig. Sie war mein Land. 1990 konnte ich Deutschland überhaupt nicht annehmen. Schon allein mit dem Begriff „deutsch“ hatte ich Schwierigkeiten. Wenn ich aus dem Urlaub Karten nach Hause schickte, schrieb ich immer „Germany“ drauf.

Sie haben sich als Ostdeutsche empfunden?

Nein, als Suhlerin. Aus Ostdeutschland allein konnte ich keine Identität gewinnen. Und unmittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR gleich Europäerin zu sein, schien mir auch ein bisschen absurd, obwohl ich in den ersten Jahren nach dem Fall der Mauer viel rumgekommen bin und mich auch gleich in die Toskana verliebt habe. Je länger ich aber in diesem Land lebte, desto mehr lernte ich, auch die positiven Seiten an ihm zu sehen und neugierig zu sein. Wenn ich heute meinen Onkel in Hessen besuche – als meine Mutter in den 50er-Jahren in die DDR ging, blieb ihr Bruder dort –, dann sage ich nicht mehr: Wir fahren nach drüben.

Was genau lieben Sie denn an Deutschland?

Wissen Sie, wie schön es ist, mit dem Segelflugzeug über die Hessische Rhön zu fliegen, dort, wo mein Onkel wohnt – herrlich! Ich liebe überhaupt bestimmte Landschaften, den Thüringer Wald, Hiddensee. Ich liebe alte deutsche Städte wie Erfurt oder Marburg. Ich liebe neben russischen, polnischen und französischen auch viele deutsche Dichter wie Günter Grass und Stefan Heym. Und gerade weil ich diese Seiten an unserem Land mag, empfinde ich umso stärker die Dinge, die es hässlich, aggressiv und nationalistisch machen. Es darf nicht sein, dass Menschen bei uns um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Ich wünsche mir Deutschland kulturvoller, solidarischer und toleranter.

Bisky oder Gysi wäre nie über die Lippen gekommen, dass sie Deutschland lieben. Fällt Ihnen jetzt gewissermaßen in den Schoß, worum die beiden noch hart kämpfen mussten?

Da ist etwas dran. Es gibt aber noch einen anderen Grund. Ich – und da steht meine Person für viele der jetzt jüngeren Leute in der PDS-Führung – hatte ein durchaus positives Verhältnis zur DDR. Ich habe mich zu ihr als meinem Land bekannt. Jetzt, wo es sie nicht mehr gibt, bin ich ein bisschen auf der Suche nach einem Ersatz.

Bitte? Deutschland als DDR-Ersatz?

Ich will keine neue DDR, das ist Quatsch. Ich bin auf der Suche nach einer neuen Identität. Man kann Thüringerin, Europäerin, Weltbürgerin sein, wie man will – für mich gibt es darüber hinaus eine nationale Identität. Mir fällt es leichter als Gysi und Bisky, zu sagen, dass ich Deutschland auch liebe. Die beiden sind kurz vor beziehungsweise nach dem Krieg geboren, sie haben den Kalten Krieg der 50er- und 60er-Jahre bewusst miterlebt, sie haben sich an der DDR ganz anders gerieben als wir Jüngeren. Ich glaube, dass viele in der PDS so empfinden wie ich. Wir können uns leichter auf die bundesdeutschen Verhältnisse einlassen.

Was ist es, das die PDS gerade entdeckt? Linker Patriotismus?

Ich habe schon mal darüber nachgedacht, ob man das so nennen sollte. Aber so weit bin ich noch nicht. Wenn man Patriotismus mit Vaterlandsliebe übersetzt, wäre mir der Begriff für das, was ich meine, zu weitgehend. Die PDS sollte über diese Frage jedoch ruhig diskutieren.

Der Patriotismus der Italiener oder Franzosen begeistert Sie schon.

Dieses Selbstverständnis italienischer oder französischer Kommunisten und Sozialisten, sich unbefangen und souverän zu ihrem Land zu bekennen – trotz aller Verfehlungen in der Geschichte, trotz aller Kriege, trotz allen Rassismus, den es dort gibt. Das finde ich erstaunlich.

Beneiden Sie sie um diesen unbefangenen Nationalstolz?

Beneiden wäre zu viel gesagt. Aber wenn der französische KP-Chef am Ende jeder Parteitagsrede „Vive la France!“ ruft, dann imponiert mir das.

Sie würden auch gern „Es lebe Deutschland“ rufen.

Nein. Aber ich wünsche mir, dass man sich als Linker unbefangen zu Deutschland bekennen und es gleichzeitig kritisieren kann.

Warum kann man das nicht?

Das verkrampfte Verhältnis der deutschen Linken zur Nation hat historische Ursachen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen. Die Bekämpfung und Beschimpfung der Linken als vaterlandslose Gesellen hat es ihnen oft nicht leicht gemacht, sich zur deutschen Nation zu bekennen. Aber schon August Bebel hat für die Sozialisten die richtige Antwort darauf gegeben: Wir lieben Deutschland, hat er gesagt, auch wenn wir bestimmte Institutionen des Staates und die herrschende Politik kritisieren.

Mit dieser fast demonstrativen Beschwörung Deutschlands und der deutschen Nation wird die PDS ihre ohnehin nicht zahlreichen Genossen in Westdeutschland endgültig verlieren. Die meisten dort bekennen sich lieber zu „Deutschland, halt’s Maul!“

Ich glaube, dass genau das Gegenteil passiert: Je mehr wir unser Verhältnis zur Bundesrepublik klären, je mehr wir uns dieser Gesellschaft öffnen, desto mehr Wähler in Westdeutschland werden wir gewinnen. „Deutschland, halt’s Maul!“ oder „Deutschland verrecke“ – ich verstehe, wenn Leute so denken, aber auf dieser Grundlage kann ich keine Politik machen. Wer das Volk verachtet und seine eigene kleine Meinung für die ewige Wahrheit hält, wie es ein Teil unserer westlichen Mitgliedschaft tut, der endet im Sektierertum.

Viele junge Mitglieder Ihrer Partei kritisieren, dass die PDS gerade in dem Moment Deutschland entdeckt, wo die anderen Parteien auf dem Weg nach Europa sind.

Den europäischen Einigungsprozess kann man nur kritisieren, wenn man ein Verhältnis zum eigenen Land hat. Und ohne Nationalstaaten kein solidarisches, soziales Europa.

Volkspartei, sozialistisch und jetzt auch noch patriotisch – ist die PDS auf dem besten Wege, die CSU des Ostens zu werden?

Das ist unsinnig. Ich habe das mit der CSU des Ostens noch nie verstanden. Dieses Konzept würde doch verlangen, dass die PDS der Ostableger der SPD wird. Das halte ich für abwegig. Ich glaube, in der PDS steckt mehr Zukunft als in der CSU. Wir sind eine bundesweite, sozialistische, europäische Partei.

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