Jung, erfolgreich, weiblich

Karin Seidel-Kalmutzki ist seit einem Monat die repräsentable Präsidentin des BFC Dynamo. Sie kämpft gegen den schlechten Ruf des Ostberliner Clubs: rechte Hools und Stasi-Vergangenheit

von HOLGER STRÖBEL

Das Missverständnis ist ausnahmsweise einmal sichtbar. Diesmal hat es die Form eines großen, bärtigen Mannes und trägt eine Kamera auf der Schulter. Damit zielt das Missverständis auf die Frau vor ihm. Die Frau würde gerne sehen, was sich hinter dem Missverständnis abspielt. Dort haben am Samstag die elf Fußballer vom BFC Dynamo Berlin gerade ihr Tagwerk begonnen. Es geht gegen Schwarz-Rot Neustadt an der Dosse. Niemand weiß, wo das liegt. Aber die Ostberliner müssen gewinnen. Wie immer.

Mehr als ein Jahr in der vierten Liga, das könnte der frühere Europapokalteilnehmer nicht verkraften. Der Club aus Hohenschönhausen schleppt eine große Bürde mit sich herum und einige Stigmata: Stasi-Club, rechte Skinheads und Hooligans. Auch deswegen ist das ZDF heute da und verbaut Karin Seidel-Kalmutzki den Blick aufs Spielfeld. Denn die Präsidentin des BFC Dynamo selbst ist das Neue, das Ungewöhnliche: jung, erfolgreich und vor allem weiblich.

Seidel-Kalmutzki ist Präsidentin eines Clubs, der mit freundlicher Unterstützung von Stasi-Chef Erich Mielke in den 80er-Jahren zehnmal in Folge DDR-Meister wurde. Nach dem Fall der Mauer begann jedoch der langsame Abstieg – und der stetige Ärger mit seinen zum Teil gewalttätigen Anhängern. „Wissen Sie“, sagt Seidel-Kalmutzki, „ich wünsche mir nichts mehr, als dass der BFC als ganz normaler Verein unter vielen betrachtet wird.“

Szenenwechsel: Im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses wird gerade über schulische Vorschriften und die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe debattiert. Die SPD-Abgeordnete Seidel-Kalmutzki trägt Kostüm, gönnt sich einen Kaffee und eine kleine Pause. Der Tag ist vollgepackt. Wie alle ihre Tage, seit sie Mitte September das Spitzenamt bei Dynamo übernommen hat. Zuvor war es am Sportforum Hohenschönhausen drunter und drüber gegangen. Vorstand Volkmar Wanski war im Juni nach sechs Jahren an der Spitze des Vereins zurückgetreten. Wanski fühlte sich von Sportdirektor Hans Reker und der Lipro AG, Hauptsponsor des finanziell gebeutelten Vereins, bei wichtigen Entscheidungen übergangen.

Wanski ging, und Seidel-Kalmutzki kam. Die Begründung ist lapidar: „Ich war eben schon immer eine, die sich lieber einbringt und etwas tut, anstatt nur zu meckern.“ Alles habe mit einem banalen Problem begonnen. Vor einigen Jahren habe vor der Schule in Hohenschönhausen, die ihre beiden Kinder besuchten, ein Fußgängerüberweg gefehlt. Seidel-Kalmutzki engagierte sich dafür, der erste Kontakt zur Politik war hergestellt, vier Jahre in der Bezirksverordnetenversammlung folgten. Seit 1999 ist die 40-Jährige Mitglied des Abgeordnetenhauses und dort sportpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

Im Umfeld des BFC freut man sich. „Frau Seidel-Kalmutzki ist die ideale Lösung“, sagt Clubsprecher Holger Zimmermann. Ihr Vorgänger Volkmar Wanski hat zwar, „ein sehr gedämpftes Verhältnis“ zur jetzigen BFC-Führung. Karin Seidel-Kalmutzki meint er damit aber nicht: „Ich kann über sie nichts Negatives sagen, sie ist mir sehr sympathisch und mit großem Engagement dabei.“

Kritiker sehen die Vereinsstruktur anders: Auf der einen Seite stehen Sportdirektor Reker und Sponsor Lipro, die die Fäden ziehen; auf der anderen steht die neue, repräsentable Präsidentin, die die Kameras auf sich zieht, sich aber nicht in die Geschäfte einmischt. „Das kann man so sehen“, sagt Volkmar Wanski. Seidel-Kalmutzki: „Wir haben eine klare Arbeitsteilung im Präsidium, funktionieren aber als Team – und das bisher sehr gut.“ Im Übrigen werde sie sich nicht scheuen, korrigierend einzugreifen, sobald das nötig sein sollte.

Bisher ist sie aber noch damit beschäftigt, sich ein Bild von dem Verein zu machen. Sie hetzt zwischen Ausschusssitzungen und Kreisvorstandsterminen, zwischen Plenumsdebatten und Repräsentationsterminen hin und her; eilt zur Geschäftsstelle und zum Fan-Café, zum Aktionstag im lokalen Boxclub und zum Auswärtsspiel nach Wismar. Sie schüttelt Hände, hört zu, lächelt – fast ist man verleitet zu sagen: wie eine First Lady.

Später ist der ZDF-Kameramann noch runter zum Spielfeld und auf die Zuschauertribüne, ein bisschen Atmosphäre einfangen. Es fällt das 1:0, später auch das 2:0. Beim 3:0 durch Falk Jarling springt Karin Seidel-Kalmutzki als Einzige auf der V.I.P.-Tribüne auf und beklatscht den Schützen. Gar nicht wie eine First Lady und schon gar nicht effektheischend oder mit einem verstohlenen Blick zu den Umstehenden. Eher wie ein ganz normaler Fan eines ganz normalen Fußballclubs.