: Die Schattenseiten der Aufklärung
Am Sonntag erhält Rudolf Augstein den Ludwig-Börne-Preis. Doch die Verleihung des zu Ehren des Juden Löb Baruch gestifteten Preises wirft Fragen auf
von JOHANNES KLOTZ
Für sein Lebenswerk erhält Rudolf Augstein, der Herausgeber des Spiegels, am 5. November den Ludwig-Börne-Preis des Jahres 2000. Der von der gleichnamigen Stiftung beauftragte Preisrichter Frank Schirrmacher – Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – begründete in einer Notiz seiner Zeitung vom 14. Juni das Urteil damit, dass Augstein in der aufklärerischen und freiheitlichen Tradition Ludwig Börnes stehe. Bislang regt sich kein Widerspruch.
Börne war ein politischer Kopf, der es in aufklärerischer Haltung vermochte, den Essay, die Kritik und Reportage zur Waffe im publizistischen Kampf gegen Dunkelheit, Vorurteil und Intoleranz zu machen. Vor allem aber war er am 6. Mai 1786 in der Judengasse in Frankfurt als Löb Baruch geboren. Ab 1800 lebte er im Pariser Exil, wo er 1837 starb. Ludwig Börne und der ebenfalls im Pariser Exil lebende Heinrich Heine wussten von Kindesbeinen an, was es heißt, nicht deutsch sein zu dürfen: „Ich bin verboten und existiere trotzdem“, wie Georges-Arthur Goldschmidt, Börne-Preisträger 1999, es formulierte. Börne rettete die Freiheitsbewegung des Jungen Deutschland vor dem Nationalismus, und er trat für die Demokratisierung des Wissens ein.
Augstein war der Mann, der nach dem Krieg den Spiegel erfand, jene Wochenzeitschrift, die bald als das „Sturmgeschütz der Demokratie“ galt. Er hatte keine Angst vor den Besatzungsmächten, kritisierte die institutionalisierten Formen der Westbindung und wertete die „Stalin-Note“ als Chance für die Einheit Deutschlands. Die konservative Adenauer-Republik hatte er sich damit zum Feind gemacht. Wegen angeblichen Landesverrats saß er 104 Tage im Gefängnis, denn das Wochenmagazin hatte am 8. Oktober 1962 über die Nato-Übung „Falex 62“ samt Bestrebungen des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen, berichtet. Augstein wollte die Öffentlichkeit vor der Weltkriegsgefahr warnen. Es war die Zeit der Kubakrise, sowjetische Raketen waren für Castro unterwegs, der amerikanische Präsident John F. Kennedy hatte Moskau unter Androhung von Kriegshandlungen ein Ultimatum gestellt. Ein Gefühl der Bedrohung ängstigte die Zeitgenossen. Umso ungeheuerlicher erschienen die Enthüllungen des Magazins. Als „Spiegel-Affäre“ gingen sie in die Zeitgeschichte ein. Enormer persönlicher Prestigegewinn und eine in die Hunderttausende gehende Auflagensteigerung waren die Folge. In der ganzen Welt war der Spiegel jetzt bekannt, und die Türen öffneten sich für seine Redakteure. Das politisch Investigative, die gut recherchierte Story, das waren Stärken der Zeitschrift, damit hatte der „genialische“ (Antje Vollmer) Rudolf Augstein sein Lebenswerk geschaffen und seinen Mythos begründet.
Dieses strahlende Augstein-Bild von Aufklärung und Freiheit wird freilich durch eine fragwürdige Redaktionspolitik, auf die der ehemalige Direktor des Grimme-Instituts, Lutz Hachmeister, vor drei Jahren aufmerksam machte, stark getrübt. Denn das Thema und den frischen, investigativen Ton der Spiegel-Serie etwa über jüdische Kaffeeschmuggler und Schwarzhändler aus dem Jahr 1950 brachten die zwei hochrangigen, ehemaligen SS-Hauptsturmführer Wolff und Mahnke aus dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Reinhard Heydrich, ins Nachrichtenmagazin. Ton und Thema schienen anzukommen, wenig später waren beide Ressortleiter. Augstein selbst schrieb eine Kolumne über das typisch jüdische Auftreten des „Anwalt(s) der bayerischen Judenheit“ vor Gericht: „Dieses Zwischending von einem römischen Volksredner und einem Teppichhändler aus Smyrna, dieser kleine dicke Mann [. . .], der mit der Behendigkeit eines Waschbären und mit dem Habitus eines Pinguins den Gerichtssaal durchmaß“.
Augsteins Eingeständnis, das deutsche Volk sei „an den Juden untilgbar schuldig“ geworden, scheint nur Lippenbekenntnis zu sein. Immerhin fand er im Spiegel-Gespräch mit Martin Walser wenig dabei, dass in seinem Elternhaus – „wie in vielen anderen“ – „gewöhnlich antisemitisch“ gedacht wurde. Für Augstein ist der Antisemitismus seines Vaters offensichtlich legitim, weil durch dessen antinationalsozialistische Haltung von dem exterminatorischen des Regimes unterschieden; einen Zusammenhang erkennt er jedenfalls nicht. Und in seiner Intervention in die Walser-Bubis-Kontroverse kommt denn auch ein zuletzt immer häufiger angewandtes Muster klar zum Ausdruck: Um Schuld und daraus erwachsende Verantwortung abzuwehren, erscheinen nun die Deutschen als Opfer jüdischer Ansprüche und Angriffe. „Wir sind alle verletzbar“, hieß der Spiegel-Kommentar zum Streit um den Friedenspreisträger. Schon lange vor Norman G. Finkelstein sah Augstein hier bestätigt, „was wir erst jüngst von einigen New Yorker Anwälten erlebten: Auschwitz wird instrumentalisiert.“ Dass er diese „Haifische im Anwaltsgewand“ und die „New Yorker Presse“ stets am Werk sieht, ob es um die Zwangsarbeiterentschädigung oder den Bau des Holocaust-Denkmals geht, mag kaum mehr wundern. Eher wundert, warum es ausgerechnet der Börne-Preisträger des Jahrs 2000 sein muss, der von der jüdischen Instrumentalisierung „unserer fortwährenden Schande“ redet; und vom „Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland“. Verdient den Börne-Preis, wer weiß: Verwirklichen wir den Entwurf von Peter Eisenman, „so schaffen wir Antisemiten, die vielleicht sonst keine wären, und beziehen Prügel in der Weltpresse jedes Jahr und lebenslang, und das bis ins siebte Glied“?
Die Insinuation einer „jüdischen Rache bis ins siebte Glied“ zeigt Augstein als jemanden, der mit antisemitischen Codes umzugehen und mit dem Verdacht zu arbeiten weiß, am Antisemitismus seien die Juden selbst schuld. Ist der Antisemitismus ja auch „ein Ärgernis, das fast überall grassiert, wo Juden leben“.
Wie wird nun Frank Schirrmacher in einer Zeit, in der Synagogen des speziellen Polizeischutzes bedürfen, mit Augsteins besonderem Nachdenken über Deutschland umgehen? Nach seiner Walser-Laudatio steht ja zu befürchten, dass es ihm nicht schwer fallen wird, zu erklären, warum nun Rudolf Augstein der richtige Börne-Preisträger ist. Muss man – mit Blick auf die Bedeutung der NS-Zeit für die Gegenwart – ein weiteres Mal annehmen, dass Schirrmachers Lob der Durchsetzung einer geschichtspolitischen Wende gilt?
Vom Autor erscheint in diesem Monat im Aufbau Taschenbuch Verlag „Geistige Brandstiftung. Die neue Sprache der Berliner Republik“. 16,90 Mark
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