piwik no script img

Der Mustersender verspekuliert sich

Der Mitteldeutsche Rundfunk MDR war bislang die Vorzeigegründung der ARD in den Neuen Ländern. Nach gewagten Geldgeschäften und einem laxen Umgang mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern hat es sich mit dem Musterknaben

Die Glasfassade des Landesfunkhauses für Sachsen-Anhalt, vom Mitteldeutschen Rundfunk MDR auf der Magdeburger Elbinsel Rothehorn errichtet, versetzte die Mitglieder einer Jury aus Architekten in Entzücken: „Vom Spazierweg am diesseitigen Ufer“, heißt es in der Laudatio vom vergangenen Freitag, „ergeben sich erläuternde wie vertiefende Einblicke in die innerräumliche Struktur dieser Produktionsstätte.“ Wirklich erläuternde und vertiefende Einblicke in die innere Struktur des MDR ergaben sich jüngst allerdings mehr aus der Presse.

Rund 2,6 Millionen Mark an Gebührengeldern waren dem MDR abhanden gekommen, weil er mit Anleihen auf die ecuadorianische Währung Sucre spekuliert hatte: Kurz darauf erklärte der südamerikanische Staat seinen Bankrott, die offizielle Währung dort ist seit April der US-Dollar – und all die schönen Sucres des MDR sind futsch.

Das Geld ist futsch

Da half es auch nichts, dass Intendant Udo Reiter auf die ansonsten positive Bilanz seiner Anstalt verwies und geltend machte, die Investitionen hätten der Dreiländeranstalt insgesamt einen Gewinn von 74,4 Millionen Mark beschert.

Als die Beschwichtigungen nicht griffen, suspendierte Reiter den verantwortlichen Verwaltungsdirektor Rolf Markner, der seinerseits öffentlich gegen den Intendanten in Stellung ging: Reiter betreibe „Ehrabschneidung“, seine angebliche Unkenntnis sei „frei erfunden“, steckte der geschasste Mitarbeiter Markner der Süddeutschen Zeitung.

Während nun Rundfunkräte und Politiker zunehmend entrüstet auf das MDR-Geschäftsgebaren reagierten, sorgten auch schon Presseberichte von einer angeblichen Duldung langjähriger Stasi-Mitarbeiter beim MDR für neues Aufsehen.

Wieder wand sich MDR-Intendant Udo Reiter: Als „Westintendant“, der einer ostdeutschen Anstalt vorsteht, habe er die Angelegenheit lieber an die Ausschüsse verwiesen. Am Sonntag dann enthüllte der Branchendienst Kontakter, dass der MDR auch 1998 knapp anderthalb Millionen Mark an Kursverlusten zu verbuchen hatte.

Die IMs sind geblieben

Mit dem Leipziger Theater um Geld und Stasi hat der MDR – bis dato ein prosperierender, ökonomisch vorbildlicher Konzern – nicht nur sich selbst, sondern auch die ARD und das ZDF in die Bredouille gebracht. Inzwischen nämlich stemmt sich eine Front aus PDS und Teilen der CDU im Sächsischen Landtag gegen die eingeplante Gebührenerhöhung um 3,33 Mark, der alle 16 Länder zustimmen müssen und über die Sachsen am 14. Dezember entscheiden soll.

Und so kam es am 2. November zu einer recht peinlichen Anhörung in Dresden, bei dem ARD-Chef Peter Voß und ZDF-Intendant Dieter Stolte bei den renitenten Parlamentariern plötzlich prinzipiell für das duale Rundfunksystem werben mussten: Verweigern die Sachsen ihre Zustimmung, fehlen den Öffentlich-Rechtlichen bis 2004 rund fünf Milliarden Mark.

Ausgerechnet der unbeschwert-neureiche Musterknabe in Magedeburg, der MDR, hat somit die Büchse der Pandora geöffnet – und eine Diskussion angezettelt, bei der es um die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überhaupt geht.

ARNO FRANK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen