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Mit Schminke und Schleier

Die Kandidatin des Regierungslagers lockt mit Versprechungen. Die Kandidatin der Islamisten mit der arabischen Sache

aus Kairo JULIA GERLACH

Madame Faida hält Hof. Sie sitzt hinter dem Schreibtisch ihres Abgeordnetenbüros und hört zu. Einem nach dem anderen. Auf gepolsterten Stühlen warten Männer und Frauen geduldig. Wer dran ist, darf vor Faida Kamels Schreibtisch Platz nehmen. Eine junge Mutter bittet um Hilfe, sie kann die Arztrechnung für ihr Kind nicht bezahlen. Ein älterer Händler beschwert sich, dass die Straße vor seinem Geschäft immer größere Schlaglöcher bekommt. „Besonders schlimm sind sie, wenn es regnet. Fast wäre da neulich ein Kind darin ertrunken“ – mit gestreckten Armen demonstriert er die Tiefe des Loches. Madame Faida nickt, verspricht zu helfen.

„Das Problem an unseren Abgeordneten ist, dass sie allen alles versprechen, aber sich dann nach der Wahl nie wieder blicken lassen“, sagt ein junger Mann später auf der Straße. In Gegenwart von Faida Kamel würde er so etwas nie sagen. Sie ist die Grande Dame der ägyptischen Politik. Ihre Karriere begann sie als Sängerin nationalistischer Lieder. Seit dreißig Jahren sitzt sie im Parlament. Natürlich für die Regierungspartei. Besser gesagt: Sie saß schon im Parlament, als es in Ägypten nur eine Partei gab. Die Aufteilung in verschiedene Parteien, Wahlen und Demokratie sind aus ihrer Sicht recht neue Erscheinungen. „Unser Präsident hat beschlossen, dass wir jetzt Demokratie haben, das ist natürlich ein großer Fortschritt“, sagt sie.

Aufzählen der guten Taten

Wahlkampf in Ägypten, auch etwas Neumodisches, aber Madame Faida macht es sichtlich Spaß. Ihre Augen blitzen kampfeslustig. Es ist schwer, ihr Alter zu schätzen: Sie trägt aufgesteckte, hennagefärbte Haare, reichlich Lidschatten, nur ihre energischen Hände mit den vielen goldenen Ringen zeigen Spuren des Alters. Sie muss ungefähr 75 sein, doch das brauchen ihre Wähler nicht unbedingt zu wissen: In einem Schuppen neben der Wahlkampfzentrale arbeitet ein Maler für sie. Er malt immer und immer wieder ihr Porträt, überlebensgroß in Farbe. Nach einem Foto von 1975.

Kurz vor Ende der Wahlen: Zeit die eigenen Verdienste in gutes Licht zu rücken: „Ich habe drei neue Moscheen bauen lassen“, beginnt sie die Aufzählung ihrer guten Taten. Madame Faida vertritt einen Wahlkreis am Fuße der Zitadelle von Kairo. Hier sind die Straßen schmal und staubig, die Menschen arm. Zu ihrem Wahlkreis gehören auch die Friedhöfe. Hier bewohnen die Lebenden die Mausoleen der Toten. „Neben vielen Moscheen in meinem Viertel gibt es Krankenstationen. Hier können sich die Armen für wenig Geld behandeln lassen. Dadurch hat sich die Gesundheitsversorgung stark verbessert.“ Dass die kleinen Krankenhäuser ursprünglich eine Initiative der Muslimbrüder waren, findet sie nicht erwähnenswert. Sie betont vielmehr ihre eigene Religiosität. Denn politische Konkurrenz droht vor allem von der islamistischen Opposition. Also sagt sie: „Der Islam und die Liebe zum Vaterland sind das Wichtigste in meinem Leben.“ Und dann sind da natürlich noch ihre Versprechungen.

Bei der Entscheidung der Wähler für einen Kandidaten geht es weniger um politische Präferenzen: Wichtig ist, was konkret ausgehandelt wird. Für sich selbst, für die Familie oder das Stadtviertel. Madame Faida hat einen guten Ruf. Am Fuße der Zitadelle gilt sie als eine der Wenigen, die ihre Versprechungen einhält – zumindest die meisten.

Ein großes gemaltes Porträt von sich würde Jihan al-Halafawi nicht gerne in der Straße sehen. Das liegt nicht daran, dass sie sich nicht attraktiv genug fühlt. Es liegt an ihrer etwas empfindlichen Wählerschaft. Jihan al-Halafawi ist die erste Frau, die jemals im Namen der Muslimbruderschaft für einen Sitz im Parlament kandidiert. Ihr Wahlkreis liegt in Alexandria, ihr Wahlbüro hinter einem Vorhang in einer Ecke des Schlafzimmers. Von dort holt die 48-Jährige eines ihrer Flugblätter: „Sehen Sie, wir haben mein Gesicht mit dem Grafikprogramm etwas verfremdet. Auf dem Bild trage ich ein sehr strenges Kopftuch“, sagt sie. Zwar gebe es bei der Bruderschaft schon seit Jahren Frauen, „und selbst zu Zeiten des Propheten Mohammed haben Frauen schon Politik gemacht“, sagt Jihan al-Halafawi, aber sie will auch die orthodoxen unter ihren Wählern erreichen. „Ich glaube, das Plakat wird sie beruhigen.“

Die Wahlwerbung ist allerdings ihr geringstes Problem: Kurz nachdem Jihan al-Halafawi ihre Kandidatur bekannt gab, wurde ihr Wahlkampfmanager verhaftet. Dann ihr Ehemann, ein führender Kopf der Muslimbrüder. In den zwei Monaten vor den Parlamentswahlen wanderten knapp tausend Anhänger der verbotenen Muslimbruderschaft ins Gefängnis. Viele wollten als unabhängige Kandidaten antreten. „Der Innenminister hat angekündigt, dass er keinen von uns im Parlament zu sehen wünscht“, sagt Jihan al-Halafawi.

Dieser Wunsch wird allerdings nicht in Erfüllung gehen: Nach den ersten Zwischenergebnissen haben die islamistischen Kandidaten gut abgeschnitten. 1995 beanspruchte die Regierungspartei der Nationaldemokraten noch 94 Prozent der Stimmen. Im ersten Durchgang der Wahlen schafften es diesmal nur 21 von 150 Regierungskandidaten. Eine Überraschung! Nicht die mangelnde Popularität der Nationaldemokraten ist erstaunlich, sondern dass die Regierung ein Scheitern ihrer Partei zuließ.

Zwar hatte Präsident Mubarak angekündigt, dass die Wahlen diesmal freier und fairer ablaufen sollen. Nach den Wahlen 1995 hatte das oberste Gericht die Ergebnisse in vielen Wahlkreisen für ungültig erklärt: Stimmzettel für Oppositionskandidaten waren verschwunden. Außerdem war herausgekommen, dass selbst Verstorbene noch als Wähler der Regierungskandidaten gezählt worden waren. Um es diesmal besser zu machen, überwachen Richter die Wahllokale. Deshalb finden die Wahlen auch in drei Etappen statt: Es gibt nicht genügend Richter, um im ganzen Land gleichzeitig Wahlen abzuhalten. Dennoch zweifelten viele im Vorfeld am Demokratiewillen Mubaraks.

Muslimbrüder verhaftet

Nicht nur die potenziellen Kandidaten der Muslimbrüder sperrte die Regierung ein, auch Saad Eddin Ibrahim verbrachte den Sommer hinter Gittern. Er ist wohl der bekannteste Sozialwissenschaftler Ägyptens. Illegale Annahme von EU-Spendengeldern und Fälschung von Wahlunterlagen wird ihm vorgeworfen. Ein Vorwand, um den unbequemen Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen. Saad Eddin Ibrahim plante ein Projekt, finanziert mit Geldern aus Brüssel. Er wollte die Ägypter ermuntern, zur Wahl zu gehen. Bei den Parlamentswahlen von 1995 lag die Wahlbeteiligung bei etwa 20 Prozent. Saad Eddin Ibrahim kündigte außerdem an, die Wahlen zu beobachten, und das war wohl der eigentliche Grund für seine Verhaftung. „Wenn die Wahlen so sauber ablaufen wie angekündigt, sollte sich die Regierung doch freuen, wenn ich dies in meinem Bericht bestätige“, stichelte er noch im September. Er wurde gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Statt die Wahlen zu begutachten, bereitet er sich jetzt auf seinen Prozess vor dem Staatssicherheitsgericht vor.

Als dann Mitte Oktober die Wahlen begannen, beschwerten sich mehrere Oppositionskandidaten über Schikanen an den Wahllokalen. Drinnen sei alles unter Kontrolle, aber ihre Wähler ließe man nicht an die Urnen heran. Es kam zu Rangeleien, die Polizei schritt ein, fünf Menschen starben. Und schon jetzt ist sicher: 15 Kandidaten der Muslimbrüder haben es geschafft. Sie werden im nächsten Parlament vertreten sein.

Gerade noch wurde vom Niedergang des Islamismus gesprochen. Der französische Islamwissenschaftler Gilles Kepel erklärte in seinem neuen Buch, dass brutale Massaker, wie das von Luxor vor drei Jahren, bei dem über 50 Touristen ermordet wurden, die islamische Bewegung in den Augen der gläubigen Muslime diskreditiert hätten. Durch eine flächendeckende Verhaftungswelle wurden zudem alle führenden Persönlichkeiten der Bewegung ausgeschaltet. Die Strategie der Regierung, den Islamisten das Wasser abzugraben, indem sie sich islamischer geben als die fundamentalistische Opposition, war erfolgreich.

Doch seither ist viel passiert: Die Unruhen im Heiligen Land zogen Unruhen in Kairo, Alexandria und Beni Suef nach sich. Zehntausende demonstrieren: Islamisten und Nichtislamisten. Linke Intellektuelle und Kinder in Grundschulen. Sie waren gegen das Treffen von Scharm al-Scheich. Dagegen, dass ihr Präsident den israelischen Ministerpräsidenten Barak nach Ägypten geladen hatte, gegen weitere Kompromisse zu Ungunsten der arabischen Sache. Und bei den Wahlen besannen sie sich dann auf die einzige wirkliche Opposition im Land: die Muslimbrüder.

Natürlich ist auch Madame Faida gegen die israelische Politik: Sie hält eine flammende Rede, ballt ihre Finger zu Fäusten. Ist ganz in ihrem Element. Schließlich hat sie ihre politische Karriere als nationalistische Sängerin begonnen. Damals, als Ägypten noch Kriege gegen Israel führte. Nur glaubt ihr heute niemand mehr so richtig. Schließlich gehört sie zu Mubaraks Partei, und der hat nun einmal den israelischen Ministerpräsidenten nach Scharm al-Scheich geladen. In den Augen vieler Ägypter ein Frevel. Plötzlich zählt dann die politische Richtung doch etwas und nicht nur die persönlichen Versprechungen.

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