: Die schönste Jugend ist bunt
■ Zur Nacht der Jugend kamen sie wirklich alle und genossen die wilde Programmischung oder dislutierten über Perspektiven der Jugendpolitik – nur das Gedenken an die Pogromnacht 1938 kam ein wenig kurz
Sie ist gekommen, die Bremer Jugend, alle: Kleine und Große, Schüchterne und Freche, Blonde und Dunkle. Auf Turnschuhen, Krücken oder Stöckelschuhen strömen sie durch das altehrwürdige Rathaus. Das ist der beliebteste Zeitvertreib an einem Abend, der vollgepackt ist bis zum Rand: Mal schauen, wie in der unteren Rathaushalle abgerockt wird. Oder lieber die Bremer Nachwuchs-Hip-Hopper DJ Maxi und MC Nepomucke, die aus der holzgeschnitzten Oberen Halle einen Club machen? Was läuft eigentlich im Treppenhaus? E Salam verkörpern genau die kulturelle Mixtur, die die Nacht der Jugend fördern soll. Die Musiker aus Deutschland, Frankreich, Marokko und dem Sudan bringen mit ihrer Rai-Musik vor allem die Kids nichtdeutscher Herkunft zum tanzen – und die sind bei der Nacht der Jugend so reichlich vertreten wie in einer Schmelztiegel-Metropole. Und auf dem Basar der Kulturen scheint alles gleich zu gelten: MTV-Star Nina von der Hip-Hop-Posse Deichkind erfährt nicht mehr Aufmerksamkeit als eine Nachwuchs-Rockband oder die Cheerleader-Truppe. Um 19.47 Uhr schlägt die Stunde des Herrn: „Jesus ist die Antwort“ säuselt der Chor der evangelischen Bekenntnisschule, gleichzeitig gibt's im Treppenhaus fetten Gospel der Afro-Deutschen Zion Community – beides unter wohlgefälligem Beifall.
Denjenigen, um die es geht, scheint die Nacht zum großen Teil zu gefallen. Lässig an den Wänden lehnende, milchgesichtige Jungs beobachten fachmännisch das Treiben, umgeben von einem Huch von Apfelsaft, während sorgfältig gestylte Mädchen aufgeregt durch die Räume kichern und an jedem Spiegel ihre Frisur kontrollieren. Manche hat einfach nur die Neugier hergetrieben, andere interessiert vor allem, wer den „Best of Bremen“-Wettbewerb gewonnen hat. Über 100 Einsender haben ihre persönlichen Lieblingsorte in der Stadt beschrieben, an denen ein Klima der Toleranz herrscht. Die Präsentation der SiegerInnen ging ein wenig unter im Kulturprogramm, aber am Ende war klar: Die neunte Klasse der Tobiasschule aus Oberneuland gewinnt den ersten Preis. Mit ihren Briefen hatten die Schüler der Waldorf-Sonderschule die Herzen der Juroren erobert. „Best of Bremen“ war dabei für jeden etwas Anderes, von „meine Oma“ bis „am See“. Die Sieger treten gleich in den nächsten Wettbewerb ein: den um das breiteste Grinsen.
Auf den Plätzen folgen das Jugendfreizeit-Zentrum Haferkamp, das die Jugendlichen als Modell nachgebildet haben, und das Intregrations-Café Burglesum. Viertbester Ort ist die neue Fatih-Moschee. Vier SchülerInnen der Gesamtschule Mitte waren von einem Besuch so beeindruckt, dass sie das Gottehaus nachbauten. Die genaue Verteilung der Preise erfolgt erst in den nächsten Tagen, schließlich sind die Gewinne hochgradig individuell und somit nicht für jeden gleich attraktiv: Nicht alle wissen mit einer Segeljolle umzugehen, ein Fußball-Ignorant pfeift vielleicht aufs Abendessen mit Marco Bode. Wer von einer Ballonfahrt begeistert wäre, muss bei einer Stunde im Flugsimulator ncht Dasselbe empfinden. Die Jury versucht deshalb mit den 21 Preisen möglichst viele Teilnehmer glücklich zu machen.
Allen Siegern ist schonmal eines sicher: Der Händedruck von Bürgermeister Henning Scherf, der zum dritten Mal das Wagnis eingegangen ist, seinen Regierungssitz mit einer völlig unkontrollierten Masse Jugendlicher zu teilen. Der Erfolg gibt ihm recht: Fast alle sind froh, dabei zu sein. Allein das Gefühl, im Allerheiligsten der Stadt willkommen zu sein, zaubert vielen ein verklärtes Lächeln aufs Gesicht. Und ganz nebenbei kann er sich einmal mehr als Bürgermeister zum Anfassen zeigen, lässt geduldig Rap-Auftritte über sich ergehen, geht keinem Gespräch aus dem Weg. Huchtinger Schülern erklärt er geduldig, warum ihr Schulzentrum geschlossen werden muss, wenn es zuwenig Schüler hat, und warum es „in Amerika“ zwar an vielen Schulen besser ist als in Bremen, an anderen aber auch viel schlechter: „Da kommen die Lehrer als Polizisten in die Schule.“
Aber der Präsident des Senats hat es nicht nur leicht an diesem Abend im „eigenen“ Haus: Ein Sarg mit der Aufschrift „Bremer Jugend“ wird durch die Säle getragen, gefolgt vom „Senat“ im Kostüm des Todes. Mit Trillerpfeifen und Parolen protestiert das Bündnis „Bremer Jugend gegen Zersparpolitik“ gegen den bevorstehenden Kahlschlag in der Jugendpolitik und wirbt für den „Jugendstreiktag“ zum Nikolaus. „Lügen haben kurze Beine, Scherf und Perschau ziehn jetzt Leine“ – der Lange bleibt zunächst unbeeindruckt, versucht die Protestler mit seinem gewinnenden Lächeln und durch Handauflegen zur Ruhe zu bringen. Aber irgendwann ist seine Geduld erschöpft: Bei der x-ten Protesteinlage greift Scherf entnervt nach dem Megaphon der Störenfriede, belehrt sie „Wir werden Euch noch beibringen, wie Demokratie funktioniert.“ Eine erwachsene Besucherin gibt ihrem Bürgermeister recht: “Die haben nicht verstanden, wie man sich als Gast verhält.“ Eine alte Dame dagegen ficht der Krach nicht an, mit leuchtenden Augen strahlt sie die Protestierenden an und sagt: „Ach, wie ist das schön“, offensichtlich in Erinnerungen schwelgend.
Auch in der Diskussionsrunde im noblen Kaminsaal haben Politker keinen leichten Stand. Nach ihren jugendpolitischen Konzepten gefragt, haben die Fraktionschefs Jens Eckhoff (CDU) und Jens Böhrnsen (SPD) nur wirtschaftspolitische Antworten: High-Tech Betriebe in die Stadt locken, die eventuell Ausbildungsplätze anbieten, dazu Elitenförderung wie mit der privaten International University. Zu den geplanten Kürzungen bei Jugendeinrichtungen verweisen sie achselzuckend auf die Haushaltlage. Ebenso wie Bildungsssenator Willi Lemke (SPD), wenn es um erhöhte Klassenfrequenzen geht – „Heuchler“ tönt es aus dem Publikum und die Vertreterin des Nixda-Bümdnisses meint, er habe gut reden, solange sein Kind auf eine Privatschule geht. Andere wollen mit den Politikern überhaupt nicht mehr reden: „Ihr habt in den letzten Jahren mein Lebensumfeld zerstört.“ Einer befürchtet, die „Nacht der Jugend“ könne auch zum Abgesang auf „Best of Bremen“ werden: „Vielleicht gibt es die prämierten Orte nach der nächsten Kürzungsrunde schon nicht mehr.“ Der Moderator konstatiert lakonisch: „Die Jugendlichen im Rathaus fühlen sich von den Politikern nicht vertreten.“ Marco Bode schreibt den Politikern ins Stammbuch, überall dort, wo sich die Jugendlichen selbst engagieren seien Kürzungen nicht hinnehmbar.
Niemand will antworten, als sich Kinder der sogenannten „falschen Libanesen“ zu Wort melden: „Die Schule haben wir hier gemacht, aber eine Ausbildung war uns nicht erlaubt. Jetzt sollen wir abgeschoben werden – gehören wir etwa nicht zu Bremens Jugend?“ Erst nach der Gesprächsrunde lassen sich Böhrnsen und Eckhoff auf das Thema ein, wollen die Fälle überprüfen. „Das Ausländeramt hat ja nur seine Paragraphen“, sagt Eckhoff, und wenn die Bremer Jugendlichen in die Türkei abgeschoben würden, sei das so „als wenn man uns nach Spanien schicken würde.“ Am Ende wurde es doch noch so etwas wie eine politische Kulturveranstaltung – der ursprüngliche Anlass für die Nacht, das Gedenken an das Pogrom von 1938, trat gegenüber den vergangen Jahren jedoch deutlich in den Hintergrund. Zwei kleine Ausstellungen am Rande, eine kurze Rede im kleinen Kreis des Kaminzimmers – das wars. Jan Kahlcke/Kirstin Gerhold
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