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Rinder und Schafe müssen unversehrt sein

Angehörige jüdischer und muslimischer Glaubensgemeinschaften sind überzeugt, dass ihre Art des Schlachtens die humanste ist

BERLIN taz ■ Beim Blut wird’s ernst. Nicht nur für den Christen, der beim Abendmahl den vom Wein gewandelten Lebenssaft Jesu Christi zu sich nimmt und zwischen Europa und Amerika gerne mal ein Stück saftig rotes Steak verspeist. Auch Muslime und Juden verstehen bei der roten Flüssigkeit keinen Spaß, und ein rohes, fast naturbelassenes Stück Fleisch zu verzehren wäre für Gläubige der reine Horror. Angehörige beider Religionen glauben, dass im Blut die Seele sitzt. „Der Schöpfer hat jedem Menschen das ihm zustehende Maß an Lebenskraft zugemessen. Eigenmächtig die Energie einer anderen Kreatur über deren Blut in sich aufzunehmen, wäre daher nicht nur wirkungslos, sondern würde eine schwere Anmaßung und Verfehlung gegen Gott bedeuten“, schreibt Beate Andelshauser in ihrem Buch „Schlachten im Einklang mit der Scharia“. Deshalb darf das Fleisch, das gläubige Juden und Muslime zu sich nehmen, kein Blut mehr enthalten.

Schlachtvieh soll daher geschächtet werden. Nachdem über dem Tier ein Gebet gesprochen wurde, werden ihm mit einem scharfen Messer blitzschnell Halsschlagadern, Luft- und Speiseröhre durchtrennt. Innerhalb weniger Sekunden blutet das Tier fast vollständig aus. Die Gläubigen unterstreichen, dass diese Form des Tötens schonend sei. „Wir sind davon überzeugt, dass unsere Art der Schlachtung die humanste ist“, schreibt Dr. Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, in einem offenen Brief an die Tierschutzvereine. „Durch die Durchtrennung der Halsschlagader erfolgt eine sofortige Anämie des Hirns mit gleichzeitiger Betäubung und sekundenschnellem Tod des Atemzentrums“. Diese Ansicht teilt der Basler Rabbiner und Veterinärmediziner Israel M. Levinger: „Sofort nach dem Schächtschnitt bleibt das Tier für mindestens zehn Sekunden total ruhig. Das bedeutet, dass es den Schmerz nicht empfindet.“

Das Gegenteil sei der Fall, kritisieren Tierschützer. Nach dem Schnitt sei die Reaktionsfähigkeit des Tieres noch vorhanden, und die Schlachtung käme einem qualvollen Verenden gleich. Würde unsauber gearbeitet oder im Falle von Thrombosen verlängere sich der Todeskampf bis zu einer Viertelstunde. Auch befänden sich noch 20 Prozent Blut im Körper, egal ob das Tier vor dem Schlachten betäubt wurde oder nicht.

Nach bundesdeutschem Recht ist das Schlachten von Tieren ohne Betäubung verboten. Das von den deutschen Behörden gewünschte Verfahren der Tiertötung sieht vor, als Betäubung zwei Sekunden lang 240-Volt-Strom durch das Gehirn der Tiere zu leiten. Für die Gläubigen kommt dies jedoch nicht in Frage. Sie verweisen darauf, dass nach ihrer Lehre Rind, Schaf oder Lamm gesund sein müssten und keine körperlichen Schäden und Verletzungen aufweisen dürften. Die vorgeschlagene Betäubung verlängere das Leiden der Tiere, die Stromstöße führten außerdem zu Gehirn- und Muskelfaserblutungen. In der Vergangenheit hat der Staat in Ausnahmefällen das Schächten von unbetäubten Tieren erlaubt, sofern nachgewiesen wurde, dass die Religion dies zwingend vorschreibt. Demnach wurde bei jüdischen Gemeinden teilweise das Schächten geduldet, bei muslimischen dagegen verboten. Der jüdische Schächter muss eine spezielle Ausbildung absolvieren und schlachtet nur in Anwesenheit eines Rabbiners.

Derart strikte Vorschriften gibt es bei Muslimen nicht. Vor dem Schächtungsverbot wurde ein Gutachten der Geistlichen Zentrale des Islam an der Al-Azhar-Universität in Kairo eingeholt, das die Betäubung des Tieres vor dem Schächten erlaubt. Kritisiert wurde dabei, dass diese Universität in Kairo nur für einen Teil der Muslime in der arabischen Welt spreche, nicht aber für die in Deutschland lebenden Türken, die als Turkvolk mit Arabern wenig gemeinsam haben. KARSTEN NEUSCHWENDER

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