: Koalition gegen die Moderne
Obwohl ihre völkischen Parolen alle Demokraten schrecken müssten, sind die rechten Parteien in Italien auf dem Vormarsch. Und die Europäer schauen ungerührt zu
Ziemlich einhellig waren die Reaktionen quer durch Europa, als Silvio Berlusconi 1994 im Verein mit dem Postfaschisten Gianfranco Fini und dem Lega-Nord-Chef Umberto Bossi die Wahlen gewann. Ob europäische Sozialdemokraten, Liberale, Gaullisten, christlich und anders Konservative: Alle behandelten das rechte Dreigestirn als Verein politischer Schmuddelkinder, gingen auf Abstand zu dem staatsanwaltlich verfolgten Medienzaren, dem gerade erst geläuterten Duce-Fan und dem populistischen Radaubruder aus dem Norden.
Das Problem Berlusconi erledigte sich damals ganz von selbst, als die Rechtsregierung dank interner Koalitionskräche schon nach neun Monaten aufgeben musste. Im nächsten Jahr aber steht Europa womöglich ein Déjà-vu bevor; erneut präsentieren Berlusconi, Fini und Bossi sich als Bündnispartner, erneut haben die Rechten die besten Chancen, die nächsten Parlamentswahlen zu gewinnen. Gegenwind aus Europa müssen sie, anders als Jörg Haider, diesmal nicht erwarten. Die Schmuddelkinder von gestern gelten heute als Respektspersonen.
Berlusconis Forza Italia darf sich mittlerweile nicht nur über die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei freuen oder über die regen Beziehungen zur Schwesterpartei CDU, bei der die Parteifunktionäre modernes Parteimanagement lernen. Selbst Jacques Chirac, der am längsten mauerte, gab seine Blockadehaltung vor einigen Wochen auf und empfing Berlusconi im Elysée. Auch die Exfaschisten der Alleanza Nazionale haben Fortschritte gemacht; sie präsentieren sich heute als biedere rechtskonservative Partei, die im Europaparlament eine Fraktionsgemeinschaft mit der irischen Fine Gael bildet.
Belohnt wird so das jahrelange geduldige Wirken der italienischen Rechten, das auf europäischem Parkett nur auf eines zielte: auf die Demonstration von Seriosität, Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Keinesfalls wollen die „Staatsmänner“ Berlusconi, Fini und Bossi wie noch 1994 als populistische Polit-Aliens wahrgenommen werden. Haider kam da gerade recht – die drei überboten sich in Distanzierungen von dem Kärntner Unhold. Selbst Bossi vergass plötzlich Kundgebungen der Lega Nord mit Haider als Stargast und erklärte, den Mann kenne er eigentlich gar nicht. Auch innenpolitisch schlägt die Lega nach jahrelangem Sezessionsgetöse mildere Töne an und bescheidet sich mit der scheinbar braven Forderung nach „Devolution“. Die selbst verordnete Weißwäscherei funktionierte nach Plan: Im August schloss Joschka Fischer in einem Interview mit dem Corriere della Sera Sanktionen gegen Italien für den Fall aus, dass dort die Rechte die Regierung übernehmen sollte.
So viel Gelassenheit in Europas Hauptstädten – Rom inklusive – überrascht. Denn zumindest die Lega Nord verwandelte sich in den letzten Jahren in eine Heimstatt rechtsradikaler Tendenzen, die Haiders FPÖ als harmloses Häuflein aussehen lässt. Da werden die Leser der Partei-Tageszeitung La Padania über „wilde Männer“ und die bei ihnen noch intakte „heilige Beziehung zwischen Blut und Erde“ aufgeklärt, eine Beziehung, die im Schwinden begriffen sei, weshalb die „europäische Rasse“ auf dem Spiel stehe. Da darf die „Odinsgemeinschaft“ für ihr Blättchen namens „Herold von Thule“ werben, da wird ein Buch mit dem schönen Titel „Gegen die Trikolore“ wohlwollend besprochen und der „natürliche, spontane Widerstand gegen die Modernität“ gefeiert, der vor 200 Jahren den Jakobinern in Italien entgegenschlug.
Da werden auf Lega-Kulturtagungen „Rom, der Islam und der Kommunismus“ als die drei stärksten Feinde der norditalienischen Völker gebrandmarkt. Gegenwehr tue not: gegen die „weltweite Clique, die heute an der Macht ist“ und gegen die „internationalen Subjekte“, die die „Ausrottung der Völker der westlichen Welt“ betreiben.
Vertraute Töne, die – natürlich angepasst an die neuen Zeiten – heftig an die Werke eines „bedeutenden deutschen Staatsmanns“ aus den 30er-Jahren erinnern. Man stutzt kaum noch, dass ein gewisser Flavio Grisolia – seines Zeichens nicht bloß Lega-Nord-Mitglied, sondern auch Chef des „Kulturvereins“ Trincea d'Europa (Schützengraben Europa) – gern gesehener Autor und Interview-Partner von La Padania ist. Wer in den Kaderverein hinein will, hat laut Herrn Grisolia „völlige Übereinstimmung mit dem ethnonationalen Denken“ mitzubringen. Auf gut Italienisch: Er muss die „Kollaborationsregierungen“ verdammen, die per Tolerierung der „islamischen Invasion“, per Abtreibung und Drogen am Genozid der europäischen Völker mitwirken, und er muss stattdessen ein „auf den untrennbaren Banden von Blut und Boden gründendes Europa“ wollen, in dem kein Platz mehr ist für „freimaurerische Globalisierung“ oder für den „Finanz-Kolonialismus der Multis“.
Dass das in La Padania veröffentlichte Blut-und-Boden-Gerede so gemeint ist, wie es klingt, erfährt der Neugierige, wenn er einen Blick auf die Website der „Trincea d'Europa“ wirft. Faschistisch ist dort schon die Ästhetik: Kräftige, eichblattumkränzte Männerhände umklammern ein Schwert, dessen Knauf ein Keltenkreuz ziert; schwarze Soldaten plündern christliche Kirchen; im Stürmer-Stil gezeichnete Schwule bedrängen eine brave christliche Familie. Faschistisch ist aber auch die Botschaft: Im ethnonationalen Staat sind die Parteien abgeschafft. Stattdessen gibt's eine „Demokratie der Clan-Chefs“ der lokalen Gemeinschaften, und über allen thront der „Capo (wieso nicht Duce?) der Nation“. Bis dahin muss jedoch der „tödliche Kampf“ zwischen den „Völkern und ihren Traditionen einerseits“, den „globalistischen und modernistischen Kräften andererseits“ durchgestanden werden – ein Kampf, der erst mit der „völligen Eliminierung einer der beiden Seiten“ enden werde.
Mit diesen Positionen konfrontiert, befand Giulio Tremonti – der Spitzenpolitiker der Forza Italia hatte den neuen Pakt mit der Lega Nord ausgehandelt –, da handle es sich um reine „Folklore“, die alles andre als typisch für die Lega sei. Auch Berlusconi wiegelt ab – er persönlich bürge für die Lega. Doch die Bürgschaft ist ohne Wert, denn das rechtsradikale Gerede ist in der Lega mittlerweile Commonsense. Parteichef Bossi selbst hat – so als schreibe Flavio Grisolia seine Reden – Freimaurer, Finanzhaie, Muslime und Kommunisten als Feindbild installiert, er wettert ganz im Stil der „Schützengraben“-Leute gegen freimaurerische Pläne zur Ausrottung der europäischen Völkerschaften.
Irgendetwas aber haben die Logenbrüder wohl falsch gemacht – europaweit nämlich scheint es kaum jemanden aufzuregen, das demnächst vielleicht Minister der Lega Nord in Italien mitregieren. Bisher lebte Bossi prächtig davon, dass seine Sprüche als Entgleisungen durchgingen. Es ist höchste Zeit, ihn und seine rechtsextremen Gefährten endlich ernst zu nehmen. MICHAEL BRAUN
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