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Männerdomäne Wissenschaft

HOCHSCHULEN IN DER KRISE (3): Forschung und Lehre leiden unter der mangelnden kommunikativen Kompetenz der Akademiker. Dagegen hilft kein Hochschulgesetz

Männliche Identität erfordert immer noch einen klaren Standpunkt und dessen souveräne Behauptung

Ein Mann muss immer streben, unabhängig in sich dazustehen . . . Ein Mann muss sich selbst genug sein. W. v. Humboldt

Die mangelnde Qualität der deutschen Universitäten wird schon lange diskutiert. Jetzt sind die politisch Verantwortlichen in die Offensive gegangen – um den „akademischen Lenz“ zu bekämpfen. So steuert das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz inzwischen drastische Maßnahmen an: Es schreibt höhere Anwesenheitspflichten für Professoren und die regelmäßige Evaluation der Lehre vor.

Man kann über diese ministeriellen Strategien streiten – und das ist auch geschehen. Aber davon unabhängig stellt sich doch die Frage, ob sich auf diese Weise das universitäre „System der organisierten Unverantwortlichkeit“ abschaffen lässt, wie NRW-Bildungsministerin Behler meint. Denn was wenig berührt wird, sind die kulturellen Bedingungen unseres Wissenschaftsbetriebs – und insbesondere seine männliche Prägung.

Hier ist nicht die Tatsache gemeint, dass Frauen in den meisten universitären Fakultäten immer noch eine marginale Rolle spielen. Vielmehr geht es um den „männlichen Geist“, der den Wissenschaftsbetrieb bis heute massiv bestimmt: als ein intellektueller Kampf, der häufig – wie Arthur Rimbaud einmal bemerkte – ebenso brutal ist wie der körperliche Männerkampf. Angesichts der herrschenden akademischen Umgangsformen erscheint der Begriff der „scientific community“ eher als bittere Ironie, denn als angemessene wissenschaftssoziologische Beschreibung unserer Unis.

Ein um wechselseitiges Lernen bemühter Austausch ist in weiten Teilen durch strategische Überlegungen ersetzt, so dass sich der vermeintlich kommunikativ orientierte Wissenschaftsbetrieb allzu häufig primär als Kampf und Krieg darstellt. Vor allem die Rhetorik ist in diesem Zusammenhang verräterisch: Da hat der eine den anderen in der Diskussion „in die Ecke gedrängt“ oder gar „niedergemacht“. Nicht selten erlebt man Kollegen auf der Höhe akademischer Glückseligkeit, wenn sie ihr Verhältnis zu theoretischen Konkurrenten unter Benutzung drastischer Kriegsmetaphoriken beschreiben, um dann mit leuchtenden Augen festzustellen: „Ich glaube, ich habe in meinem Text den R. abgeschossen!“ Ja, vielen Dank, Herr Kollege!

Der allgegenwärtige intellektuelle Krieg hat sicherlich zum großen Teil auch mit der extremen Konkurrenzsituation zu tun, in der sich die gegenwärtige akademische Mittelbauschicht in Deutschland befindet. Aber er hat seine Ursache wohl vor allem in der Form eines durchaus zeitgemäßen „männlichen“ Selbstverständnisses. Was natürlich nicht heißt, dass alle Männer und nur sie davon geprägt sind! Aber männliche Identität erfordert immer noch einen klaren Standpunkt und dessen souveräne Behauptung. Wird der eigene Ansatz, die eigene Theorie oder der eigene Gedanke in Diskussionen in Frage gestellt, reagiert der Betreffende häufig mit den bekannten Formen von Ignoranz und Selbstgefälligkeit.

Sternstunden erlebt man hier in Formulierungen, wie: „Die Frage ist ja interessant, aber auf dieses Glatteis werde ich mich nicht begeben!“, oder gar in eher schon kabarettreifen Beiträgen, wenn man auf Diskussionsfragen etwa zu hören bekommt: „Welches Interesse sollte ich haben, auf diese Frage zu antworten?“ Da stellt sich dann wohl eher die Frage, welches Interesse man haben sollte, zuzuhören.

Der universitäre Betrieb bestätigt damit auf kuriose Weise die Einsicht des Psychologen George Smalley, der herausfand, dass 97 Prozent der Männer in unseren Gesellschaften Fehler vornehmlich bei anderen suchten, und der bemerkt hat: „Ein Mann merkt nicht, wenn er einen Fehler macht. Und falls er es merkt, streitet er es ab.“ Ob es sich dabei um ein „Jahrmillionen altes Programm der Arterhaltung“ handelt, das Männer dazu gebracht hat, sich „fehlerlos zu präsentieren“, wie der Anthropologe David Buss meint, oder ob man hier andere Gründe anführen mag: Offensichtlich fällt es heutzutage auch in den reflektierteren Kreisen unserer Gesellschaft schwer, die eigenen Unzulänglichkeiten einzugestehen und den drohenden Männlichkeitsverlust zu riskieren.

Nicht die berühmte Formel von Descartes „Ich denke, also bin ich“, ist offenbar die gegenwärtige Gewissheit Nr. 1, sondern das Prinzip „Ich bin, was ich denke“. Und daraus folgt: Denke ich es nicht mehr, bin ich nicht(s) mehr – jedenfalls nicht derselbe wie zuvor. Das aber scheint eine Zumutung zu sein, angesichts deren mann dann doch lieber zu einer (häufig bis zur Lächerlichkeit reichenden) Selbstverteidigungsstrategie greift, vor allem wenn es darum geht, sein eigenes „Werk“ zu verteidigen.

Wie schrieben doch Adorno und Horkheimer schon 1944 in ihrer „Dialektik der Aufklärung“: „Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war (. . .). Die Anstrengung, das Ich zusammenzuhalten, haftet dem Ich auf allen Stufen an, und stets war die Lockung, es zu verlieren, mit der blinden Entschlossenheit zu seiner Erhaltung gepaart.“ Wohl wahr! Und diese Sätze sind in den letzten drei Jahrzehnten häufig zitiert worden, übrigens gerade auch von Männern. Aber wie das im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb so ist: Man kennt die These und hat auch auf sie Bezug genommen – aber das reicht dann auch! Schließlich geht es ja weniger darum, theoretisches Denken im eigenen Leben zu verankern, als um die eigene intellektuelle Selbstbehauptung und die Einnahme einer theoretischen Position.

Das Urteil anderer so ernst zu nehmen wie das eigene, sich inFrage stellen lassen oder gar Positionen zu revidieren, kurz: sich an kollektiven Lernprozessen zu beteiligen, die diesen Namen verdienen – das alles sind nicht gerade Tugenden in unserer gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft. Eher ist es die Lust am Kampf, an der geistigen Denunziation und an der intellektuellen Schrebergartenmentalität: Die anderen argwöhnisch beobachten, nicht zu mächtig werden lassen und gegebenenfalls in Grund und Boden kritisieren.

Ein französischer Intellektueller hat dazu einmal kommentiert: „Wenn die Leute so daherreden, versuche ich mir vorzustellen, was das, umgeschrieben in die Realität ergäbe. Wenn sie jemanden ,kritisieren`, wenn sie ,verurteilen`, was er schreibt – dann stelle ich sie mir in der idealen Situation vor, wo sie alle Macht über ihn hätten. Die Wörter, die sie benutzen, lasse ich ihren Lauf zurück in einen ursprünglichen Sinn nehmen: ,zerstören`, ,schlachten`, ,zum Schweigen bringen`,,begraben`“ (Foucault).

Mag der Krieg auch nicht der Vater aller Dinge sein, wie berühmte Männer immer wieder behaupteten, ganz sicher ist er der heutzutage herrschende Kommunikationstyp in den meisten männlich dominierten Lebensbereichen – und eben auch in dem akademischen Bereich, der sich doch „Verständigung“ und „Diskurs“ schon lange auf die Fahne geschrieben hat.

Und der Effekt des Ganzen? Unter der mangelnden kommunikativen Kompetenz unserer akademischen Intelligenz leidet nicht nur der Forschungsprozess, der durch eine sorgsame Abschottung der eigenen wissenschaftlichen Arbeiten sowie durch Versuche, die Konkurrenz auszuschalten und viele andere unproduktive Strategien mehr gekennzeichnet ist. In Mitleidenschaft wird dabei vor allem auch die akademische Lehre gezogen, die unter „wahren“ Wissenschaftlern bekanntlich ohnehin nicht viel gilt. Den StudentInnen wird unter dem Einfluss unserer derzeitigen akademischen Lehre in weitem Maße sowohl die entdeckende Neugier schnellstens ausgetrieben wie auch die Versuchung, sich Einsichten gemeinsam und solidarisch zu erarbeiten.

Die männliche Prägung unseres Wissenschaftsbetriebsist kein Thema der Hochschuldiskussion

Stattdessen wird munter doziert und in der Regel ab einem bestimmten Zeitpunkt der akademischen Karriere kein Zweifel daran gelassen, dass man sich bald zu entscheiden habe, in welchen Stall man sich führen zu lassen gedenkt. So wie ein berühmter Soziologieprofessor seiner angehenden Doktorandin vor einigen Jahren unmissverständlich nahe legte, sich gut zu überlegen, ob sie die engen Kontakte zur Kollegin R. beibehalten wolle, wenn sie die Absicht habe, bei ihm zu promovieren. Beides zusammen ließe sich nicht vereinbaren: „Sie müssen sich entscheiden, Frau B.!“ – so die lapidare Aufforderung zu absolutem Gehorsam oder Kofferpacken.

Fragt sich, wie man unter all diesen Bedingungen fruchtbare akademische Arbeit und einen produktiven Seminarbetrieb organisieren soll. Bis derartige neue Formen einmal politisch durchgesetzt worden sind, hält man sich wohl weiter an Goethe:

„Stehen wie Felsen doch zwei Männer gegeneinander! / Unbewegt und stolz, will keiner dem andern sich nähern / Keiner zum guten Worte, dem ersten, die Zunge bewegen.“

THOMAS SCHÄFER

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