: „Polizeiaktion zerstört das humanitäre Klima“
Traumatisierter Kurde, der aus dem Fenster einer Praxis sprang, ist außer Lebensgefahr. Starke Kritik im Innenausschuss am Polizeieinsatz
Die gute Nachricht zuerst: Dem 17-jährigen Kurden Davut K., der am Freitag aus einem Fenster der psychotherapeutischen Beratungsstelle für politisch Verfolgte „Xenion“ gesprungen ist und sich dabei schwer verletzte, ist außer Lebensgefahr. Bei einer BVG-Kontrolle in Mitte war er mit einem gefälschten Ticket erwischt worden. Die Polizei hatte ihn dann bis in die Praxis in Charlottenburg verfolgt. Dort war der schwer traumatisierte Mann – wahrscheinlich aus Angst vor einer Abschiebung – aus dem Fenster gesprungen (taz 25. 11. 2000).
Nach Angaben der Pressestelle des Benjamin-Franklin-Krankenhauses wurde der 17-Jährige am Rücken operiert, um mögliche Rückenmarkschäden zu vermeiden. Es sei „sehr wahrscheinlich, dass er keinen bleibenden Schaden behält“. Derzeit werde Davut K. im künstlichen Koma gehalten. Die Ärzte erwarten, dass er demnächst aufwacht.
Die schlechte Nachricht: Die Polizei hat gegen Dietrich F. Koch, den behandelnden Therapeuten, und gegen eine Sekretärin der Praxis Verfahren wegen Widerstands gegen die Beamten und wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet. Koch indes erwägt rechtliche Schritte gegen die Beamten, die gegen seinen ausdrücklichen Willen mit gezogener Waffe in die Praxis eingedrungen waren. In einer Pressemitteilung der Beratungsstelle hieß es gestern, dass solche Polizeiaktionen „nicht nur die physische und psychische Gesundheit einzelner Flüchtlinge zerstören“, sondern auch „das humanitäre Klima in unserem Land“.
Davut K. wurde nach Angaben seines Anwaltes in der Türkei wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Unter Folter habe er sich bereit erklärt, eigene Leute zu denunzieren. Als die Vollstreckung der Strafe ausgesetzt wurde, habe er in Deutschland Asyl beantragt. Weil dies aber als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, lag eine Ausweisungsverfügung vor. Ein erneuter Eilantrag soll nun die Ausweisung aufschieben.
Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses wurde der Polizeieinsatz gestern scharf kritisiert. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, sagte, dass die Beamten die Therapieräume nicht hätten betreten dürfen. „Die Jagd auf Ausländer mit gezogener Dienstwaffe strahlt falsche Signale aus.“ Weil die Menschen, die sich an Therapieeinrichtungen wenden, oftmals schon „negative Erfahrungen mit der Staatsgewalt gemacht haben“, hätten die Beamten behutsamer vorgehen müssen. Die PDS-Abgeordnete Karin Hopfmann erklärte: „Die Beamten hätten mit Vorsicht vorgehen müssen.“ Andere Patienten könnten durch solch ein Vorgehen „abgeschreckt werden“. Polizeipräsident Hagen Saberschinsky verteidigte den Einsatz und sprach zugleich von einem „tragischen Fall“. BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
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