piwik no script img

Unterwürfige Nase

Äußeren Merkmalen wurden immer innere Werte zugeordnet

Große Hängebrüste wurden früher als ein deutliches Zeichen von Primitivität angesehen, sie ähnelten „Ziegen-Eutern“, schrieb der Ethnologe Hermann Heinrich Ploss

Mal war die Nase zu klein, dann wieder zu groß: Schon in den vergangenen Jahrhunderten wurden äußeren Merkmalen immer bestimmte innere Werte zugeordnet – und diese Bewertung richtete sich nach den gesellschaftlichen Machtverhältnissen.

Stupsnasen der Iren galten im Amerika des 19. Jahrhunderts als ein Zeichen von Unterwürfigkeit, von niedriger Intelligenz, von Tierähnlichkeit, sie wurden „Mopsnasen“ (pug noses) genannt, schildert der US-amerikanische Geisteswissenschaftler Sander Gilman („Making the Body Beautiful“; Princeton University Press, 1999).

Die einstmals gering geschätzten Nasen der Iren wurden im 19. Jahrhundert von dem plastischen Chirurgen John Orlando Roe begradigt und vergrößert. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Bevölkerungsgruppe der Iren in die Mitte der amerikanischen Gesellschaft auf. Die leicht stupsige Nase entwickelte sich Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA zum Schönheitsideal.

Lange Nasen und abstehende Ohren galten lange Zeit als „jüdisch“, entsprechend dem Antisemitismus der Zeit charakterisierte Roe die „jüdische Nase“ als ein Zeichen von „Gier und Materialismus“. Der Rassenanthropologe Hans Günther schrieb in den 30er-Jahren dieses Jahrhunderts über die „fleischigen Ohrläppchen“ und „großen, roten Ohren“, die man bei Juden häufiger als bei anderen Leuten fände.

Es war sicher kein Zufall, dass ausgerechnet der jüdische Chirurg Jacques Joseph in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Berlin die ästhetische Nasen- und Ohrenchirurgie weiterentwickelte und mit seinen fast narbenfreien Nasenverkleinerungen regen Patientenzulauf hatte.

Schon seit der Aufklärung ordneten die herrschenden Bevölkerungsgruppen äußere Merkmale auf einer Skala des „Menschlichen“ ein. Große Hängebrüste beispielsweise wurden als ein deutliches Zeichen von Primitivität angesehen, sie ähnelten „Ziegen-Eutern“, schrieb der Ethnologe Hermann Heinrich Ploss in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In Brasilien lassen sich viele Teenager die Brüste verkleinern und liften.

Die Zuschreibung innerer Eigenschaften aufgrund von äußeren Merkmalen spielt auch in der Selbstwahrnehmung der westlichen alternden Gesellschaften eine zunehmend große Rolle: Ältere Patientinnen wollen sich liften lassen, um „frischer“ und „nicht mehr so miesepetrig“ auszusehen, wie in Medienberichten zitiert. Äußerlichen Alterserscheinungen wie Mimikfalten und Hängebacken werden somit negative innere Eigenschaften zugeschrieben. Vielleicht ist genau diese Zuschreibung in einer Gesellschaft der Langlebigen das eigentliche Drama – und die Ursache der boomenden Schönheitschirurgie. BARBARA DRIBBUSCH

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen