: Professor Doktor Millionär
von PETER UNFRIED
Das Wichtige an einer Quizshow ist die Frage. Die Möglichkeit. Die Spannung. Das Ungewisse. Das Schlimmste an einer Quizshow ist, wenn die Antwort schon bekannt ist, bevor die Frage gestellt wird. Dann ist die Spannung tot. Und das Quiz auch. Wie bei „Twenty-One“ 1957, als Charles Van Doren als Betrüger entlarvt wurde.
Die Quizshow „Wer wird Millionär?“ des Fernsehsenders RTL hat binnen eines Jahres eine atemberaubende Karriere gemacht. Zuletzt Einschaltquoten von bis zu 15 Millionen erreicht – wie sonst nur noch „Wetten, dass ...!?“ und viel mehr als andere Sender, die verzweifelt das Format kopieren. Dabei ist es so simpel: Quizhost Günther Jauch stellt einem Kandidaten Fragen. Der Kandidat hat vier Antwortmöglichkeiten (Multiple Choice). Mit 15 richtigen Antworten potenziert sich die Gewinnsumme von 100 Mark zu einer Million.
So einfach ist „Millionär“ Fernsehen geworden, das Lebensalltag beeinflusst oder Gewohnheiten verändert hat. Die Sendung schafft etwas, was Fußballspiele längst nicht mehr vermögen, „Wetten, dass ...?!“ kaum noch und „Big Brother“ in immer geringerem Maße: „Wer wird Millionär“ ist Fernsehen, über das die Menschen tatsächlich reden.
Am Samstag hat das Format seinen ersten Millionär geschaffen. Eckhard Freise (56), Mediävistik-Professor in Wuppertal, wohnhaft in Münster, war der dritte Kandidat, dem die Millionenfrage gestellt wurde. Und der erste, der sie richtig beantwortete.
Die Milliardenfrage nun ist: War das a.) der bisherige Höhepunkt eines einzigartigen Erfolgsformats oder b.) der Anfang vom Ende? Ist „Wer wird Millionär?“ an seine Grenzen gestoßen?
Erstens: Die grundsätzliche Frage („Wer wird Millionär?“) ist relativ früh beantwortet (mit: „Eckhard Freise“). Natürlich wird das Format noch eine ganze Weile funktionieren. Doch die neue Frage („Wer wird als Zweiter Millionär?“) ist nicht mehr so gut wie die alte. In den USA hat ABC mit dem Original von „Who wants to be a Millionaire?“ in diesem Jahr jedenfalls dramatische Einschaltquotenverluste erlitten. Da ist man inzwischen bei sechs Dollar-Millionären angelangt. In Großbritannien hat man nach sieben Serien ohne Millionär soeben erstmals die Million ausgezahlt. ITV wartet jetzt nervös, was passiert.
Ein zweiter Fall Neuss?
Ein zweites Problem: Die aktuelle Frage war beantwortet, bevor die Sendung begann. Freise hatte in der am Freitagabend ausgestrahlten Sendung die 500.000-Mark-Frage beantwortet und damit den bestmöglichen Cliffhanger für die Sendung am Samstagabend geschaffen. Während RTL den großen Showdown ankündigte, meldete das „Wer wird Millionär?“-Fachblatt Bild bereits am Samstagmorgen mit der Seite-1-Schlagzeile Vollzug („Jauchs erster Millionär“). Ein brutaler Schlag ins Gesicht von zig Millionen Deutschen, denen damit die Spannung genommen und der Abend verdorben war? Ein zweiter Fall Wolfgang Neuss?
Bild war bei dem Anschlag auf das Vergnügen der Zuschauer bei weitem nicht der einzige Täter. Viele Medien verbreiteten die Nachricht, die aus mindestens einer sehr seriösen Quelle kam. Die Bergische Universität Wuppertal hatte auf ihrer Homepage bereits am Freitag ihren Professor als Quiz-Millionär der Sendung geoutet.
Woraus folgt: RTL hat seine Exklusivnachricht selber gemacht, aber eben nicht unter totaler Kontrolle. Das ist einerseits nicht ganz schlecht. Andererseits: Was könnte RTL tun? Endemol produziert alle drei Folgen eines Wochenendes (Freitag, Samstag, Montag) am Dienstag davor. Mitarbeiter, Kandidaten, Zuschauer – aus der Mediengeschichte weiß man, dass irgendeiner immer eine Zeitung an- bzw. zurückruft. Der Fall zeige, konstatierte die netzeitung, „dass im multimedialen Informationszeitalter Informationen kaum noch künstlich zurückgehalten werden können“.
Eine weitere Frage ist: Darf man den Triumph des Professors als Renaissance des Bildungs(-bürger-)tums deuten? Die bergische Alma Mater gab sich in ihrer Meldung jedenfalls mächtig stolz, dass ihr„beliebter“ Mediävist in der „populärsten deutschen TV-Quiz-Show“ Geld gewonnen hatte und damit nun „schlagartig zur Berühmtheit“ werde. Das hat nichts Bildungsbewusstes, sondern etwas erfrischend bis irritierend Weltliches, wie auch die Sprache („Professor Dr. Freise hatte ein Schweineglück“).
Das Comeback der Quizshow sei „kein Indiz für das Wiedererstarken einer klassisch humanistischen Bildung“, hatte unlängst schon der Stern geseufzt (a. geknickt? oder b. erleichtert?). Davon kann und muss man ausgehen. Es setzt einen Kontrapunkt zu den im letzten Jahrzehnt dominierenden Anti-Bildungs-Spielshows („Der Preis ist heiß“, „Glücksrad“). Wichtige Bildungsquellen sind aber neben einem Latein-Leistungskurs auch die Lektüre der Bild-Zeitung und die Beschäftigung mit Populärkultur. Kurz gesagt: Die Kandidaten bei Jauch sind die Leute, die zu Hause vor dem Fernseher sitzen und „Wer wird Millionär?“ schauen. Dieser typische Millionärskandidat kann Fragen beantworten bis zum Gewinnsummenspektrum 32.000-125.000 Mark. In diese Kategorie gehört zum Beispiel der Lateshow-Host Harald Schmidt, der bei der Prominenten-Sendung vergangene Woche (siehe Medien) zwar noch Desdemona von Ophelia unterscheiden konnte, aber nicht wusste, was „Fakir“ heißt („der Arme“).
Pyramus und Thisbe
Für die Million braucht man eben mehr als Halbbildung – vielseitiges Wissen oder wenigstens Teilwissen und die Fähigkeit zum Wissenstransfer. Eckhard Freise ist jemand, der bei den wichtigen Liebespaaren der Geschichte weniger an Daniela und Kareem („Big Brother“) denkt und mehr an Pyramus und Thisbe (Ovid). Das erlaubte es ihm, vor Beantwortung der Millionenfrage („Mit wem stand Sir Edmund Hillary 1953 auf dem Mount Everest?“) in aller Seelenruhe über Kleist und die Verfertigung der Gedanken beim Reden zu dozieren, bevor er endlich mit der Antwort („Tensing Norgay“) herausrückte.
Dennoch steht er für die Bewegung der Geistesbranche hin zur Quizshow. Ein Mediävist! Mit Linksscheitel und Kassengestell. Wählt eigenhändig eine 0190-Nummer, um sich als Quiz-Kandidat zu bewerben. Sein Motiv ist profan: Einerseits eine Wette mit seinem vierzehnjährigen Sohn, andererseits das Bestreben, das Häuschen daheim in Münster, die „Bildungsbürgerschulden“ (Freise), endlich abzuzahlen.
Und was macht die Bildung? Jauch – ausgerechnet – fragte: „Ist das alles ganz schrecklich, wenn Sie sich ansehen, wie sich das entwickelt?“ Nein, nein, ist es nicht. „Die Bildung“, antwortete Prof. Dr. Freise, „schichtet sich um.“ Er ist jetzt der lebende Beweis, wie gut das sein kann. Mediävist Freise kann zwar, meldet seine Uni, „fließend lateinisch“, aber, keine Angst: Er „setzt dies in seinen Veranstaltungen eher selten ein.“
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