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Das Urteil steht schon fest

Seit gestern steht der Karatelehrer Tarek Mousli als mutmaßliches Mitglied der „Revolutionären Zellen“ (RZ) vor Gericht. Höchstwahrscheinlich kann der Kronzeuge den Prozess als freier Mann verlassen. Für Weggefährten ist er „ein Verräter“

von PLUTONIA PLARRE

Vor dem Kammergericht steht ein einsamer Polizeiwagen. Das wäre vor 15 Jahren anders gewesen. Bei einem vergleichbaren Prozess hätten damals Sicherheitskräfte das Gebäude komplett umstellt. Erstmals hat gestern ein mutmaßliches Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) als Angeklagter in einem Prozess über seine Zeit bei der Feierabend-Guerrilla ausgepackt. Die RZ hatten die Polizei zwischen 1973 und 1995 mit 186 Anschlägen in Atem gehalten.

Vor Gericht steht der 41-jährige Berliner Karatelehrer Tarek Mousli. Aufgrund seiner Aussagen sitzen sechs angebliche Kampfgefährten von früher seit annähernd einem Jahr in Untersuchungshaft. Nach dem Ende des gestern begonnenen Prozesses wird Mousli als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft gegen sie aussagen.

Spannung lag in der Luft, als der Kronzeuge gestern über eine panzerglasgeschützte Hintertreppe in den Saal geführt wurde – eskortiert von zwei Personenschützern des Bundeskriminalamtes. „Ah, da isses, das Schwein“, schallte es ihm aus den dicht besetzten Zuschauerbänken entgegen. Viele kennen Mousli persönlich von früher aus den 80er-Jahren, als er noch Hausbesetzer in Kreuzberg war und in verschiedenen autonomen Initiativen arbeitete. Unter seinem dunklen Rollkragenpullover zeichnete sich eine kugelsichere Weste ab.

Als Mousli im vergangenen Jahr verhaftet wurde, hatte er eine regelrechte Lebensbeichte über seine Zeit bei den RZ zwischen 1985 und 1995 abgelegt. Vor Gericht steht er jetzt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen des Sprengstoffanschlags auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber von 1987. Indirekt zur Last gelegt werden ihm auch die Schüsse auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und den Vorsitzenden des Asylsenats beim Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher.

Für den Fall, dass Mousli sich in dem Prozess voll geständig zeigt, hat ihm die Bundesanwaltschaft eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. Dass der Zweite Strafsenat des Kammergerichts Mousli keine Steine in den Weg legen wird, hat der Vorsitzende Richter gestern bereits angedeutet: Das Gericht pflege „nicht ohne zwingende Gründe über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft hinauszugehen“.

Zu Beginn seiner Aussagen wirkte Mousli angespannt. Die Verkrampfung lockerte sich, als er seinen Lebenslauf erzählte: Wie er nach seinen ersten Lebensjahren in Beirut mit seiner deutschen Mutter nach Deutschland gekommen und später im Zuge des Studiums zur Hausbesetzerszene und autonomen Bewegung in Berlin gestoßen war. Der Kampf der Palästinenser um ihre Freiheitsrechte habe ihn politisiert. Weiter erzählte er, dass er 1985 von Gerd Albartus, der später in der arabischen Wüste liquidiert wurde, zu den Berliner Zellen geholt worden sei. Dort sei er auf die sechs gestoßen, die er jetzt schwer belastet: Sabine Eckle, Rolf Schindler, Harald Glöde, Axel Haug und Matthias Borgmann sowie auf einen Mann namens Toni. Sie habe er seinerzeit alle nur unter ihren Decknamen gekannt. Zusammen mit ihm, Mousli, sei sein Freund Lothar Ebke zu den Zellen gestoßen. Letzteren der Mitgliedschaft zu bezichtigen sei ihm besonders schwer gefallen, sagte Mousli auf Nachfrage des Richters: „Er war mein bester Freund.“ Eine Zuschauerin quittierte das mit dem wütenden Ausruf: „Du bist einfach ein schmieriger Hund, ein Dreckskerl!“

Mousli berichtete weiter, dass er zu den Funkspezialisten der Berliner Zellen gehört habe, die den Verfassungsschutz und alle relevanten Polizeikanäle regelmäßig abgehört hätten. Dass es Verbindungsleute zur Polizei gab, über die man auch direkt an Einsatzpläne und Funkgeräte gekommen sei. Außerdem habe Ebke von einem „Menschen bei der AL“ regelmäßig Informationen über die Polizei und den Innenausschuss erhalten. „Wir waren ganz gut informiert.“

Mousli gab zu, an allen Anschlägen, die ihm zur Last gelegt werden, beteiligt gewesen zu sein – zusammen mit den übrigen Beschuldigten. Er wisse vom Hörensagen, dass Rolf Schindler derjenige gewesen sei, der auf Korbmacher und Hollenberg geschossen habe. Finanziert worden seien die Aktivitäten der RZ unter anderem über einen Koordinierungsausschuss, der legale und ilegale Projekte unterstützt habe. Einer der Geldgeber sei ein Berliner Apotheker gewesen, der sein Erbe in eine Stiftung gesteckt habe.

Er sei „ganz sicher“, dass der Mehringhof ab 1987 als Sprengstofflager gedient habe, Ebke habe ihm den Deckel zu dem Fahrstuhlschacht gezeigt, wo das Depot gewesen sei. Es sei aber sehr schwierig gewesen, diesen bei der Durchsuchung des Mehringhofs im Mai 2000 per Videostandschaltung wiederzufinden. Die Entscheidung, die RZ zu verlassen, habe er nach der Liquidierung von Albartus gefasst. Diese Art von Politik mache einen „kalt und hart, das haben auch die anderen zugegeben“.

Die Vernehmung machte dem Richter, einem älteren Herrn, dessen Bäckchen langsam zu glühen begannen, sichtlich Vergnügen. Während Mousli förmlich von „in Brand setzen“ sprach, redete der Richter von „abfackeln“. Die vorhandenen Widersprüche wurden von ihm nur am Rande, fast väterlich, thematisiert. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

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