piwik no script img

Der letzte Kronzeuge ist ein Volltreffer

Dank Tarek Mousli weiß das BKA nahezu alles über die „Berliner Zellen“ und einen unbemerkten Postbetrug der RZ

Ohne den Kronzeugen Tarek Mousli wäre es den Terrorismusverfolgern nicht gelungen, in Berlin „irgendeine Person der Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) zu bezichtigen“. Das hat gestern ein RZ-Spezialist des Bundeskriminalamtes (BKA) als Zeuge vor dem Kammergericht ausgesagt.

Der 41-jährige Karatelehrer Mousli steht seit vergangener Woche wegen seiner Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung RZ zwischen 1985 und 1995 vor Gericht. Um eine Bewährungsstrafe zu bekommen, hat er als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft sechs weitere angebliche RZ-Mitglieder belastet.

Der Prozess gegen Mousli ist reine Formsache. Schon am Montag soll das Urteil verkündet werden. Die Beweisaufnahme beschränkte sich auf das Geständnis des Angeklagten und das Verlesen von RZ-Bekennerschreiben und Artikeln aus der Zeitschrift Revolutionärer Zorn. Als einzige Zeugen wurden eine frühere Freundin Mouslis sowie gestern zwei BKA- Beamte vernommen.

Der RZ-Spezialist berichtete, Mousli habe das BKA in die Lage versetzt, „die Strukturen der RZ in Berlin aufzuhellen, von denen wir bis 1988 überhaupt nichts wussten“. Bis auf einen Unbekannten mit dem Decknamen „Toni“ hätten sämtliche Mitglieder der Berliner Zellen namhaft gemacht werden können. Untermauert würden Mouslis Angaben durch Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit mit Angaben zur Struktur und Decknamen von RZ-Mitgliedern.

Durch Mousli hätten die Ermittler auch die so genannte RZ-Postsparbuch-Aktion aufklären können, sagte der Beamte. Der von Mousli der RZ-Mitgliedschaft bezichtigte Harald Glöde war Ende der 80er-Jahre zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er über eine gefälschte Postsparbucheintragung versucht hatte, 2.000 Mark abzuheben. Mousli hatte seinen Vernehmern eröffnet, dass Glödes Tat im Zusammenhang mit einer bundesweiten Geldbeschaffungsaktion der RZ gestanden habe, bei der über 300.000 Mark erbeutet wurden. Erst durch Mousli habe man erkannt, dass es am 20. April 1987 über 40 Fälle von Postsparbuchfälschungen gegeben habe. Ein elektronischer Datenabgleich bei der Post sei damals noch nicht möglich gewesen, so der BKA-Spezialist.

Nachdem Mousli im November 1999 zum zweiten Mal verhaftet worden war, hatte er angefangen auszupacken. Daraufhin wurde der Mehringhof durchsucht, drei Personen wurden festgenommen. Doch das reichte dem BKA nicht. „Wir hatten den Eindruck, dass Mousli zu der einen oder anderen Person noch mehr sagen könnte, und ihm deutlich gemacht, dass die Kronzeugenregelung nur greift, wenn er rückhaltlos Angaben zur Sache macht“, so der Beamte gestern. Im Hinblick darauf, dass die Kronzeugenregelung Ende 1999 auslief, belastete Mousli kurz vor Neujahr auch seinen besten Freund, den nach Kanada ausgewanderten Lothar Ebke. Danach hatte der Kronzeuge keine Hemmungen mehr, packte im neuen Jahr über die gesamte Kreuzberger Szene aus und erstellte anhand von 50 bis 100 vorgelegten Lichtbildern ein Szeneprofil.

PLUTONIA PLARRE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen