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Die Ordnung ist hin

Nach der Tat ging das Gerücht von Handy zu Handy: Schon gehört? Skins haben einen Fidschi umgebracht. Wer hätte auch gedacht, dass es anders war?

„Ich hätte wohl doch die Polizei rufen sollen. Die Gewaltbereitschaft haben doch alle bemerkt! Auch ich.“

aus Bernsdorf THOMAS GERLACH

War der Weihnachtsmann schuld? Er hatte durch das Programm geführt mit der Jagdhornbläsergruppe, dem Karnevalsverein und den „Vorfreuden im Advent“. Gesang und Späße trug der Lautsprecher über den Platz. Um vier war dann sein großer Auftritt: „Der Weihnachtsmann kommt.“ Und er tat, was Weihnachtsmänner tun – Freude verbreiten und ein wenig Respekt. Ein Weihnachtsmann aus echtem Oberlausitzer Holz, der lässt sich nichts bieten. Auch nicht von den Jugendlichen mit diesem Haarschnitt, den Schnürstiefeln und den militanten Jacken. Von denen doch nicht! Na ja, er hätte vielleicht nicht zurückpöbeln dürfen. Heftig schallte die Lautsprecheranlage einiges hinaus auf den Weihnachtsmarkt in Bernsdorf mit seinen Buden, den Kiefern und der Kinderbelustigung. Auch wenn niemand aus dem Ort sich mehr genau an die Worte des Weihnachtsmannes erinnert: Lustig war das alles nicht mehr.

Und es war doch erst der Anfang. 20 Skins, vielleicht auch mehr, zogen dann von Holzbude zu Holzbude, soffen und krakeelten sich Meter für Meter weiter. Genug Hütten waren da. Für Speisen und Getränke ist überwiegend durch Bernsdorfer Gewerbetreibende gesorgt, versprach die Einladung. So wie im vergangenen Jahr, so wie immer. Und so kamen die Jugendlichen endlich an den letzten Stand Bernsdorfer Händler, wo die vietnamesische Familie Glühwein ausschenkte. Eine bequeme Endstation für Frust und Pöbeleien. „Fidschis“ sind handliche Feinde, anders als die Russlanddeutschen, die hier in Plattenbauten wohnen und – wenn es sein muss – mächtig was im Unterarm haben: Vietnamesen sind zierlich. Da kann man schon mal die Hütte ein bisschen aus den Angeln heben. Da muss man nicht mit Gegenwehr rechnen?

Das ist die Vorgeschichte. So oder doch so ungefähr muss es gewesen sein am Sonnabend auf dem alljährlichen Weihnachtsmarkt von Bernsdorf. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die das mit angesehen haben, wollen nicht ihre Namen in der Zeitung lesen. Wer kann schon ahnen, dass der 15-jährige Thung ausflippt, ein Messer holt, drei Jugendliche verfolgt und zwei davon auf der Hauptstraße niedersticht? Matthias liegt in der Gerichtsmedizin, René auf der Intensivstation und Thung sitzt in U-Haft. Dort, wo der 21-jährige Matthias verblutete, werden jetzt Blumen niedergelegt. Gerüchte schwirrten am Samstagabend durch die Luft, von Handy zu Handy, von Disco zu Disco: Schon gehört? Skins haben einen Fidschi umgebracht! Erst langsam wurde klar, dass es anders war. Wer hatte damit gerechnet? Die Ordnung ist hin.

„Es wäre so ein schöner Weihnachtsmarkt geworden.“ Bürgermeister Eberhard Menzel hat ein freundliches Gesicht, die Augenlider gefältelt, die Lippen gepresst. Verschränkt liegen seine Hände auf dem Tisch, er presst den Kugelschreiber wie einen Rosenkranz, jedes Wort ein Stoßgebet: Fußballverein, Karnevalsverein, Schützenverein, Jugendclub, Jugendfeuerwehr. „Mit eigener Technik!“ Sein Stellvertreter sekundiert. Es gebe für die Jugend so viele Möglichkeiten! Die beiden – einer von der PDS, der andere von der PDS aufgestellt – sitzen im Amtszimmer, suchen nach Argumenten, die entlasten. Sebnitz vor Augen, Hoyerswerda vor der Tür: Die Suche nach den Ursachen hat begonnen und der Bürgermeister muss reden, so gut er kann. Man habe gewiss nicht alles Erdenkliche getan, doch das, was möglich war. Zumal bei der Haushaltslage, wie sie nun eben so ist, und sie ist nicht gut, Sie verstehen!? Und nun das. Man erreiche eben nicht alle, Verrückte geben es eben überall. „Sehen Sie, John Lennon wurde auch erschossen.“ Hilflosigkeit, Menzel schaut auf, presst den Kuli. „Im Grunde genommen hat ein Bernsdorfer einen anderen erstochen. Das ist bedauerlich, doch das würde gemeldet werden in der Zeitung und dann nochmal, wenn Prozess ist.“ Fertig. Eberhard Menzels Krisenmanagement ist schlicht: Ruhe und Ordnung. Oder: wenig Presse und viel Polizei.

Menzel steht auf, greift zum Hörer: „Hat sich die Polizei bei Ihnen gemeldet? Noch nicht?“ Kommt zurück und echauffiert sich ein bisschen. Er habe eben mit den Eltern des Toten telefoniert, die Polizei war immer noch nicht da, bis auf Samstagnacht, an der sie die Nachricht vom Tod brachte. „Die haben doch auch Polizeipsychologen, die müssen sich doch um die Eltern kümmern?“ Ratlosigkeit bei Eberhard Menzel. Irgendwie hatte er sich die Aufgaben der Polizei wohl umfassender vorgestellt.

Dann erzählt der Bürgermeister: „Gestern waren Jugendliche bei mir. Die wollen dort, wo der Matthias verblutet ist, ein Kreuz aufstellen. Ich soll ihnen helfen.“ Was soll Eberhard Menzel machen? „Ich habe ihnen gesagt, ich werde das prüfen. Man kann da nicht einfach Pflastersteine aus dem Bürgersteig reißen und was aufstellen. Wir müssen das im Stadtrat beraten.“ Und es scheint, der Bürgermeister hoffe, dass das mit dem Kreuz vorübergeht.

Regentropfen klatschen auf Folie, darunter Rosen, Astern, Nelken, Teelichter flackern im Wind, Schal und Kissen von Dynamo Dresden, zwei Fotos: Matthias, kurzes Haar, schwarzweißrote Hosenträger, Bierflasche gereckt, lachend, selbstbewusst. Nein, nicht unsympathisch, ein junger Kerl, Maler, Fußballfan – und Skin. Ein grimmiger Wikinger pappt als Aufnäher an der Tür, Unterschrift „Odin“, ein Kreuz hängt daneben, eingraviert „Skin“. Die Ernst-Thälmann-Straße in Bernsdorf ist eigentlich immer dicht, der Verkehr wälzt sich von Hoyerswerda Richtung Dresden. Jetzt ist alles noch dichter und langsamer. Streifenwagen, Bereitschaftspolizei mittendrin, und vor der alten Sparkasse kommt alles ins Stocken. Es ist wie ein „Drive in“, Fuß vom Gas, Blick zu Blumen, Grablichtern und Zetteln. Und Sprüche auf dem Fußweg, was man schreibt, wenn man traurig ist: „Forever in my heart“. Und anderes: „21 wurde er nur für das deutsche Vaterland“. Keine drei Meter entfernt werden beim Meisterfriseur Locken gelegt. Wird Matthias zum Märtyrer erhoben? Hier soll das Kreuz errichtet werden. Was könnte draufstehen? Ein paar stehen herum, geschorene Haare, rauchen, schweigen, gucken auf die Straße, als warteten sie auf etwas, und entzünden Teelichter, wieder und wieder, die eine 21 bilden, ein M und ein F, die Initialen seines Namens. Und der Wind macht alles zunichte. Gibt es was zu sagen? Nichts. Fast nichts. Einige sprechen in Handys. Und ein Gedicht klebt an der Tür, Überschrift „So jung“: „Du warst doch nicht krank, dir ging es doch gut, dieser plötzliche ‚Unfall‘ bringt mich in Wut. Du hättest nicht allein gehen dürfen, merkte das niemand? Kam denn keiner hinterher?“

Thungs Eltern verstanden. Hemden, Kostüme und Pullis liegen noch aus im Asiamarkt, kaufen kann sie vorläufig keiner. „Heute: geschlossen“ steht seit Sonntag an der Tür, die beiden sind fort. Am Montag war Abschiednehmen in der Schule: Einige vietnamesische Eltern haben ihre Kinder abgemeldet, für immer. Auch der China-Imbiss lässt seit Dienstag die Rollläden unten. Wird es Rache geben? Die Vietnamesen verlassen trotz Polizeiaufgebot die Stadt. Wohin, weiß keiner hier.

Am Sonntag zogen die Skins von der Tankstelle zum Tatort, die kamen nicht nur aus Bernsdorf. Danach gingen sie in die Kirche zur Andacht. Von den 300 Besuchern waren zwei Drittel Skins. Pastorin Angelika Scholte-Reh hat sich dafür schon einiges anhören müssen. Was sie sich da eingehandelt habe, als sie zur Andacht einlud, sei ihr erst im Laufe des Sonntags klar geworden. „Es war besser, sie in die Kirche einzuladen, als dass sie sich an der Tankstelle voll laufen lassen.“ Ein Forum habe sie ihnen nicht geboten, wohl aber einen Ort. „Die haben doch auch ein Recht, dass man sich um sie kümmert.“ Die Pastorin war am Samstag auch mit einem Stand auf dem Markt, versuchte zu schlichten, als die Sache mit dem Weihnachtsmann begann. Und sie hatte sich fest vorgenommen, am Sonntag einen Aufruf für Gewaltlosigkeit und gegen Rassismus auf dem Stand auszulegen. „Wir mischen uns ein, wenn andere beleidigt, bedroht oder angegriffen werden“, steht auf dem Papier. Am Sonnabend lag es noch im Pfarrhaus, am Sonntag war’s zu spät. „Ich hätte wohl doch die Polizei rufen sollen. Die Gewaltbereitschaft haben doch alle bemerkt! Auch ich.“ Nun steht ihr eine Beerdigung ins Haus.

Angelika Scholte-Reh sitzt in ihrem Haus, rührt im Tee, sucht nach Ursachen. „Die latente gesellschaftliche Gewalt darf man doch nicht verschweigen?“ Und zählt auf: Arbeitslosigkeit in den Familien, Perspektivlosigkeit und die einfachen Antworten der Rechten. Es ist die Negativliste zu den Vereinen von Bürgermeister Menzel. Die Pastorin selbst ist aus dem Rheinland zugezogen. „Und jetzt geht hier die Angst um, dass Bernsdorf erledigt ist.“ Dass hier alle als Rechte gelten, wenn wieder Skins marschieren, auf der Thälmann-Straße hin zum Treppensteig mit seinen Blumen und Kerzen und Odin, dem Wikinger. Auf dem Gewerbegebiet ist noch Platz für Investoren, ein Großer lässt hier produzieren – ein Automobilzulieferer aus Japan.

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