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■ Beim Thema Tanzfilm ist Bremen eine erste Adresse: In der Universität residiert das zweitgrößte Tanzfilminstitut der Welt. Doch schon im nächsten Jahr wird es heimatlosVon Christoph Köster (Text) und Nikolai Wolff (Fotos)

Wenn Heide-Marie Härtel nicht so viel zu tun hätte, wäre sie bestimmt längst explodiert. Doch zum Glück hat die Leiterin des Deutschen Tanzfilminstituts – dem größten europäischen und weltweit zweitgrößten Tanzfilmarchiv mit Sitz in Bremen, jawohl in BREMEN – viel um die Ohren. Im Auftrag des Kulturkanals arte dreht sie gerade zwei Folgen eines vierteiligen Features über europäisches Tanztheater. Außerdem kehrt die zierliche Frau gerade von Vortragsreisen durch China und Russland zurück. Für Heide-Marie Härtel gilt: Arbeit beruhigt und lenkt ab – von den Wirrungen der Kulturpolitik im Allgemeinen und in Bremen im Besonderen.

Universität Bremen, irgendwo im Labyrinth des Gebäudes der geisteswissenschaftlichen Fachbereiche GW 2. Raum A 4320 hat Härtels Instituts von der Uni sozusagen ausgeliehen und als Büro eingerichtet. Anderthalb Gänge weiter befindet sich das Studio: Es ist ein bis unter die Decke mit Schnittplätzen und Technik voll gestopfter Raum, der mitunter Saunatemperaturen erreicht.

Zwischen Studio und Büro verteilt sind die Schränke für das Archiv, das mittlerweile auf 7.800 Bänder angewachsen ist. Es dokumentiert Inszenierungen von längst weltberühmten Choreographinnen wie Pina Bausch oder Susanne Linke und enthält so viele Schätze, dass Härtel für die Goetheinstitute, die Kultursender 3-sat und arte oder sporadische Auftraggeber laufend Medienpakete und Filme zusammenstellt und eigene dreht. Und obwohl ein Teil der Bänder in einem Kabuff oben in einem Treppenturm unter klimatisch schlechten Bedingungen lagert, wächst das Archiv immer weiter an. Schenkungen, Stiftungen und bis zu 40 Eigenproduktionen pro Jahr machen es möglich.

Es ist jetzt ein Jahr her, da zog Härtels Tanzfilminstitut einen dicken Fisch an Land. Mit Mitteln des EU-Programms „Raphael“ organisiert das Archiv die Vernetzung europäischer Partnerinstitute und die Rettung des langsam verfallenden Videomaterials. Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU) lud nach diesem Coup eigens zu einer Pressekonferenz, um mal etwas Positives zu melden. Doch in all den Monaten ließ sie laut Heide-Marie Härtel auf die Worte keine Taten folgen: „Es ist nichts passiert“, sagt die Institutsleiterin. Jedenfalls nichts von größerem Belang.

Natürlich geht es wieder mal um Geld. Genauer: Es geht um etwa 200.000 Mark, die Bremen jährlich aufbringen müsste, um aus dem vor neun Jahren gegründeten Dauerprovisorium ein echtes Institut zu machen. Heide-Marie Härtel, die ABM- und BSHG-19-Kräfte um sich schart und einmal 60.000 Mark vom Kultursenator und einmal 150.000 Mark Wirtschaftsförderung bekam, hat sogar ein Konzept zur Geldvermehrung: Bei einem Etat von einer Million Mark will sie 60 Prozent durch Aufträge selbst erwirtschaften, 20 Prozent müssten aus Bremen kommen, und dann wäre auch der Weg frei für eine gleich hohe Förderung aus Bundesmitteln.

„Wir wollen das Institut unbedingt in Bremen halten“, sagt Staatsrätin Elisabeth Motschmann auf Anfrage und bekundet Sympathie für das Archiv. Allerdings sei das mit den Bundeszuschüssen komplizierter. Noch gäbe es keine Zusage aus Berlin. Aber auch der CDU-Landeschef Bernd Neumann setze sich im Bundestag dafür ein.

Zahlt Bremen erst, wenn Berlin zahlt? Oder zahlt Berlin, wenn Bremen eine Zusage gibt? Über dieser Frage könnte das Tanzfilminstitut schon im nächsten Jahr buchstäblich heimatlos werden. Die Uni will die Gebäudeetage mit dem Büro und den Studios sanieren. Die Unileitung hat dem Institut jetzt mitgeteilt, dass es im Juni 2001 seine Koffer packen muss. Eigentlich will sich Härtel mit der Stadtbibliothek verschwistern und mit ihrem Institut ins Polizeihaus Am Wall umziehen. Noch ist dort Platz freigehalten, aber der Investor Kurt Zech drängt auf eine Zusage. Zurzeit weiß niemand etwas genaues.

So geht das seit Wochen, Monaten, Jahren. Zur Ärgervermeidung macht Härtel ihre Arbeit. Das vierteilige Feature wird ab März 2001 auf arte gezeigt. Eigens dafür hat Susanne Linke, von 1994 bis 1999 Choreographin am Bremer Theater, ihre kraftraubende Hommage an Gerhard Bohner, von 1978 bis 1981 Choreograph am Bremer Theater, noch einmal getanzt. Und ebenfalls für dieses Feature hat Heide-Marie Härtel den Choreographen Hans Kresnik, von 1968 bis 1978 sowie von 1990 bis 1994 Tanzchef in Bremen, mit der Aufnahme seiner ersten abendfüllenden Bremer Inszenierung „Kriegsanleitung für jedermann“ von 1970 konfrontiert.

Und wenn Heide-Marie Härtel nach der Ausstrahlung des Features die Koffer packen muss? „Ich gehe in jede Stadt, die uns die Miete und zwei Stellen finanziert“, sagt Härtel. Sie wirkt dabei schon etwas müde, weil sie schon mehrfach mit Abwanderung gedroht hat. Allerdings hat nach Köln gerade Frankfurt Interesse am Institut angemeldet. Es geht also um die Frage, ob Bremen eine Besonderheit in der Stadt halten kann oder verliert.

Kontakt Tel.: 218 38 28 und via E-Mail unter haertel@uni-bremen.de

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