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Rasender See schluckt Schwarzgeld-Opfer

Ex-CDU-Staatskanzleichef Jung beteuert vor dem Untersuchungsausschuss, er habe keinerlei Ahnung vom Schwarzkontensystem der Hessen-CDU gehabt. Auch belastende Weyrauch-Briefe will er nie erhalten haben

WIESBADEN rtr ■ Der frühere CDU-Staatskanzleichef Franz Josef Jung hat gestern vor dem Untersuchungsausschuss in Wiesbaden darauf beharrt, vom Schwarzkontensystem der Hessen-CDU nichts gewusst zu haben. Die Schwarzgeldzahlungen seien hinter seinem Rücken an die Partei geflossen, sagte der frühere CDU-Generalsekretär und enge Vertraute von Ministerpräsident Roland Koch. Er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen und sei ein Opfer der Affäre. Jung war im September auf Druck des Koalitionspartners FDP als Chef der Staatskanzlei zurückgetreten. Anlass waren Briefe, die im Widerspruch zu seinen früheren Aussagen bezüglich der Schwarzgeldaffäre standen.

„Der See rast und will ein Opfer“, zitierte Jung aus Schillers „Wilhelm Tell“. „Jetzt sitzt das Opfer vor Ihnen.“ Weder habe er als Generalsekretär von 1987 bis 1991 von den Schwarzkonten gewusst, noch habe er versucht, die Unterschlagungen von Ex-CDU-Buchhalter Franz-Josef Reischmann zu vertuschen. Die CDU hatte Reischmann 1992 ohne großes Aufsehen entlassen, weil er rund 2,2 Millionen Mark veruntreut hatte. Als der Fall zusammen mit der Finanzaffäre der Partei bekannt wurde, gab es Mutmaßungen, die CDU habe Reischmann nicht angezeigt, weil er mit Aussagen über Schwarzkonten an die Öffentlichkeit hätte gehen können.

Anlass für Jungs Rücktritt war die Entdeckung von zwei an ihn adressierten Briefen des ehemaligen CDU-Finanzberaters Horst Weyrauch, in denen festgelegt wurde, wie die Affäre Reischmann ohne Aufsehen zu bereinigen sei. Außerdem existiert ein Weyrauch-Bericht über den Fall Reischmann, der angeblich von Jung in Auftrag gegeben wurde. Beides widersprach Jungs früheren Aussagen, wonach er in die Details der Reischmann-Affäre nicht eingeweiht war.

Nach einem Frankfurter Rundschau-Bericht wurden derweil weitere Unterlagen bekannt, die Jungs Aussagen widersprechen. Auf dem Deckblatt eines Weyrauch-Berichts über die Reischmann-Affäre von 1992 sei die dienstliche Telefonnummer Jungs vermerkt. Außerdem sei in Weyrauchs Kanzlei eine Notiz über einen Anruf Jungs am 19. 8. 1992 gefunden worden, bei dem er Weyrauch über einen Hinweis informiert habe, der Reischmann in Verbindung mit einem dubiosen Finanztransfer bringe.

Der frühere Hessen-CDU-Chef und Bundesinnenminister Kanther hatte im Januar eingeräumt, dass die Hessen-CDU Anfang der 90er-Jahre Geld ins Ausland gebracht hatte. Koch und Jung hätten von den rund 20 Millionen Mark nichts gewusst. Das Wahlprüfungsgericht will im Februar entscheiden, ob die Landtagswahl von 1999 wiederholt werden muss, weil Schwarzgeld in den Wahlkampf der CDU geflossen war.

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