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Unbehagen in Bundesstiftung

Lothar W. Ulsamer soll dem Zukunftsfonds der Zwangsarbeiterstiftung vorstehen – und gerät in die Kritik. Ein Artikel von ihm erschien in der rechtsgerichteten „Jungen Freiheit“, Heinrich Böll sah er als „Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt“

von PHILIPP GESSLER

Für Lothar Ulsamer braut sich was zusammen: Es soll verhindert werden, dass der bisherige Büroleiter der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter Chef des „Zukunftsfonds“ der Bundesstiftung wird. Die Stiftung will die Milliarden des Bundes und der Wirtschaft für die in der Kriegszeit ausgebeuteten Menschen aus dem besetzten Europa verteilen. Eine „ideologische Dreckschleuder“ wie Ulsamer, so heißt es in den Kreisen des Kuratoriums der Stiftung, „gehört nicht an diese Stelle“.

Die Hauptkritik: Der Esslinger Soziologe Ulsamer hat in seiner Ende der Achtzigerjahre erschienenen Doktorarbeit und einer darauf beruhenden Schrift Intellektuellen und Schriftstellern wie Hans Magnus Enzensberger und Heinrich Böll vorgeworfen, sie seien „Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt“. Die Grande Dame der FDP, Hildegard Hamm-Brücher, sonst eher zu zarten Worten neigend, hatte das Werk, das der Spiegel als „gedruckte Jauche“ bezeichnet hatte, so quittiert: „reiner Rechtsradikalismus und die Vorstufe zur Bücherverbrennung“. Nach Recherchen der taz ist unter Ulsamers Namen zudem ein Artikel in der Jungen Freiheit erschienen. Der Jungen Freiheit warf zuletzt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz 1999 vor, bei ihr seien „Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen festzustellen“.

Ulsamer hat 1993 einen Beitrag für eine Festschrift zu Ehren des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) veröffentlicht. Der musste zurücktreten, nachdem öffentlich geworden war, dass der Politiker in den letzten Kriegstagen als Marinerichter an Todesurteilen gegen desertierte Wehrmachtssoldaten beteiligt gewesen war.

Mit herausgegeben hatte die Festschrift Lothar Bossle, damals Soziologieprofessor an der Universität Würzburg. Bossle wurde damals vorgeworfen, er sei nur auf diesen Posten eingesetzt worden, da Franz Josef Strauß ihn gegen den Willen fast der gesamten Alma Mater durchgedrückt hatte. Die Zeit hatte dem Professor unterstellt, Doktorarbeiten zu akzeptieren, die wissenschaftlich miserabel, dafür politisch stramm konservativ einzustufen seien.

Angesichts der Vergangenheit Ulsamers gibt es im Kuratorium der Bundesstiftung Bestrebungen, bei der nächsten Sitzung dieses Gremiums die Eignung des Esslingers zu diskutieren. Ulsamer hatte als Mitarbeiter von Manfred Gentz, Mitglied des Vorstandes von DaimlerChrysler die Verhandlungen zur Entschädigung früherer Zwangsarbeiter begleitet. Ein Kurator, der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, erklärte, er habe Ulsamer in seiner Arbeit für die Stiftungsinitiative, die das Geld einzutreiben versucht, als „engagiert und kompetent“ erlebt.

Ulsamer zeigte sich der taz gegenüber überrascht, dass ein Artikel von ihm in der Jungen Freiheit erschien. Er sei sich zu „99,9 Prozent“ sicher, dass der Beitrag ohne sein Wissen einer von ihm verfassten Broschüre zur Familienpolitik entnommen wurde. Heute würde er keinesfalls für diese Wochenzeitung schreiben.

Gleichwohl distanziert sich der Soziologe von seiner damaligen Doktorarbeit nicht. „Zum damaligen Zeitpunkt“, so Ulsamer, sei diese „wissenschaftliche Arbeit“ durchaus „richtig und legitim“ gewesen. Er sehe es mittlerweile als ein „zeitgeschichtliches Dokument“, das nicht „als rechts oder rechtsradikal einzustufen ist“. Wohlwollend kommentierten die deutschnationalen Nation und Europa – Deutsche Monatshefte Ulsamers Werk: „Es war höchste Zeit für sein Erscheinen. Möge ihm die verdiente Breitenwirkung beschieden sein.“

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