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Tod im Knast durch Schläge oder Schüsse

Menschenrechtsgruppen legen Berichte über den Tod von Häftlingen bei Gefängnisrevolte in der Türkei vor

ISTANBUL taz ■ Es hätte interessant werden können. Eine Leinwand war aufgespannt, Angehörige hungerstreikender Gefangener hielten sich bereit, Anwälte wollten Stellung nehmen – doch dann kam alles ganz anders. Noch bevor die Vorsitzende des Istanbuler Menschenrechsvereins IHD, Eren Keskin, die 200 Leute, Journalisten, Freunde aus dem Umfeld des Vereins und Angehörige von Gefangenen begrüßen konnte, machte die politische Polizei der Sache ein Ende. Ohne sich lange mit Legalitätsfragen aufzuhalten, marschierten stramme Zivile in den Konferenzsaal des Eresin-Hotels, machten Videos der Anwesenden und erklärten, entweder die Leute verschwänden oder sie landeten im Polizeihauptquartier.

Anlass für die dann verbotene Veranstaltung war die Präsentation einer Dokumentation, die der Menschenrechtsverein über die „Operation zur Rettung des Lebens“, den Sturm auf 20 türkische Gefängnisse am 19. Dezember, zusammengestellt hat. 31 Gefangene und zwei Soldaten starben bei dieser bislang größten militärischen Attacke auf revoltierende Gefangene. Offizieller Anlass war die Beendigung eines Hungerstreiks. Es ging und geht bei dieser Auseinandersetzung um die Einführung so genannter F-Typ-Gefängnisse, in denen vor allem politische Gefangene statt in großen Trakten in Einzel-, Zweier – oder Dreier-Zellen untergebracht werden sollen, um die Kommunikation zu erschweren und die Kontrolle besser zu gewährleisten.

Unter Führung der DHKP/C, der „Revolutionären Volksbefreiungsfront“, versuchen mehrere linke Organisationen durch „Todesfasten“ die Inbetriebnahme dieser Knäste zu verhindern.

Bis heute ist nicht vollständig geklärt, wie die 31 bei dem Sturm auf die Knäste getöteten Gefangenen umgekommen sind. Während die Regierung vom Tod durch Selbstverbrennung und „von einigen anderen Todesfällen“ spricht, weisen die von Menschenrechtsorganisationen zusammengetragenen Berichte übereinstimmend darauf hin, dass 20 Gefangene erschossen oder erschlagen wurden und von den Verbrannten zwei durch Selbstverbrennung starben.

Im Bericht des IHD sind zwei amtliche Autopsieberichte enthalten, die den Tod durch Schussverletzungen bestätigen. Die meisten Toten hat es im Istanbuler Bayrampasa-Gefängnis gegeben, in dem führende Leute der DHKP/C saßen. In Bayrampasa begann die Militäroperation am 19. Dezember um 4.30 Uhr morgens, eine Stunde bevor Militär und Polizei in den anderen 19 Knästen zuschlugen. Im Gegensatz zum anderen Istanbuler Gefängnis, Ümraniye, das vier Tage belagert wurde, bevor die Gefangenen aufgaben, machte das Militär in Bayrampasa kurzen Prozess. Am Nachmittag war die Lage unter Kontrolle – zwölf Häftlinge waren tot. Nach Informationen des Menschenrechtsvereins verbrannten sechs Frauen, nachdem Einheiten den Trakt, in dem sie sich verbarrikadiert hatten, aufbrachen und Gas- und Brandbomben hineinwarfen. Sechs Männer starben an Schuss- oder Schlagverletzungen

Laut Autopsiebericht starb auch Ahmet Ibili, der als lebende Fackel aus dem Ümraniye-Gefängnis auf die Soldaten zulief, durch Schüsse. Nach Angaben des Menschenrechtsvereins sind lediglich zwei Frauen aus dem Usak-Gefängnis in Izmir durch Selbstverbrennung gestorben.

Mit der Aktion hat die Regierung zwar den Hungerstreik nicht beenden können, aber die Verlegung in die F-Typ-Gefängnisse durchgesetzt. Nach Berichten Gefangener, die Anwälte oder Angehörige verbreiten, geht es den Gefangenen in den neuen Knästen schlecht. „Wir werden geschlagen, etliche sind gefoltert worden“, sagen Häftlinge aus dem Sondergefängnis in Sincan und Edirne. Zwei Berichterstatter von amnesty international und Human Rights Watch, Heidi Wedel und Jonathan Sugden, forderten jetzt eine internationale Untersuchung, nachdem ihnen der Zugang zu den Gefängnissen verwehrt wurde.

Seit die hungerstreikenden Gefangenen in die F-Typ-Gefängnisse gebracht wurden, sind Informationen über ihren Zustand spärlicher geworden. Einige Gefangene befinden sich seit über 70 Tagen im „Todesfasten“, was offenbar dadurch möglich ist, dass sie gezuckertes Wasser und Vitamin B zu sich nehmen. Zwangsernährungen sind laut Premier Bülent Ecevit beendet worden. „Wenn die jungen Leute sich weigern Hilfe anzunehmen“, so der Regierungschef, „müssen sie selbst die Verantwortung tragen.“ JÜRGEN GOTTSCHLICH

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